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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nichts, worauf er sich verlassen konnte.
    Die Beweisstücke waren verblüffend spärlich; man hatte sie wie abhanden gekommene, besitzerlose Gegenstände in einem Fundbüro nebeneinander aufgereiht. Es waren die traurigen und reichlich peinlich anrührenden Überbleibsel aus dem Leben eines andern, die plötzlich ihren Sinn und Zweck verloren hatten und Monk ein wenig an seine eigenen Habseligkeiten in der Grafton Street erinnerten: lauter Gegenstände, deren Geschichte und Bedeutung für immer ausgelöscht waren.
    Er blieb neben Evan stehen und nahm einige Kleidungsstücke in die Hand. Die dunkle, aus exzellentem Tuch gearbeitete Hose war mit Blutflecken übersät. Die auf Hochglanz polierten Stiefel waren kaum abgelaufen, die Unterwäsche offensichtlich erst vor ganz kurzer Zeit gewechselt worden. Oberhemd und Seidentuch waren auf der Brust und im Nacken stark blutverschmiert. Auch das hochmodische Jackett war durch das Blut vollkommen ruiniert, außerdem an einem Ärmel eingerissen. Außer einer ungefähren Ahnung von Joscelin Greys Größe und Körperbau sowie einer gewissen Bewunderung für seinen Geldbeutel und Geschmack brachten ihm die Sachen nichts Neues. Da die Herkunft der Verletzungen bereits feststand, ließ sich auch aus den Blutflecken nichts ableiten.
    Er legte die Kleidungsstücke zurück und wandte sich zu Evan um, der ihn beobachtete.
    »Nicht sehr hilfreich, was, Sir?« Evan betrachtete die Sachen mit einer Mischung aus Bedauern und Unwillen. Etwas in seinem Gesicht schien echter Kummer zu sein; vielleicht war er für den Beruf eines Polizisten einfach zu sensibel.
    »Nein, nicht besonders«, meinte Monk trocken. »War das alles?«
    »Die Tatwaffe noch, Sir.« Evan streckte einen Arm aus und nahm einen schweren Ebenholzstock mit Silberknauf in die Hand. Er war mit getrocknetem Blut und Haaren überkrustet.
    Monk zuckte zusammen. Sollte er jemals zuvor etwas derart Gräßliches gesehen haben, mußte sich seine Immunität dagegen zusammen mit seinem Erinnerungsvermögen auf und davon gemacht haben.
    »Widerlich.« Evans Mundwinkel wanderten nach unten, während er die rehbraunen Augen weiterhin auf Monk gerichtet hielt.
    Monk wurde sich des Blickes plötzlich voll bewußt und geriet beinah aus der Fassung. Diese Abneigung, dieses Mitleid – galt das alles ihm? Fragte Evan sich, wie ein ranghöherer Polizeibeamter nur so zimperlich sein konnte? Er kämpfte seinen Ekel mit einiger Anstrengung nieder und nahm den Stock in die Hand. Er war ungewöhnlich schwer.
    »Kriegsverletzung«, bemerkte Evan, ohne den Blick von ihm zu wenden. »Laut Zeugenaussagen lief er tatsächlich damit rum, er benutzte ihn nicht nur zur Zierde.«
    »Das rechte Bein.« Monk rief sich den Bericht des Gerichtsmediziners in Erinnerung. »Erklärt auch das Gewicht.« Er legte den Stock weg. »Sonst nichts?«
    »Nur ein paar zerbrochene Gläser und eine ebenfalls zerbrochene Karaffe, Sir. Muß der Lage nach alles auf dem umgekippten Tischchen gestanden haben; eine Reihe Ziergegenstände lagen auch noch herum. In Mr. Lambs Ordner befand sich eine Skizze, wie es in dem Raum ausgesehen hat. Ich weiß zwar nicht, wie die uns weiterhelfen soll, aber Mr. Lamb hat stundenlang darüber gebrütet.«
    Monk empfand erst einen Anflug von Mitgefühl für Lamb, dann für sich selbst. Einen Moment lang wünschte er, er könnte mit Evan die Rollen tauschen, sämtliche Entscheidungen und Beurteilungen jemand anders überlassen, die Verantwortung für jegliches Scheitern von sich schieben. Er haßte es zu versagen! Er merkte plötzlich, was für ein verzehrendes, brennendes Verlangen er hatte, diesen Fall aufzuklären, zu gewinnen, dieses süffisante Lächeln aus Runcorns Gesicht zu vertreiben.
    »Ach so – das Geld, Sir.« Evan brachte eine Pappschachtel zum Vorschein und öffnete sie. In ihrem Innern befanden sich eine Brieftasche aus feinstem Schweinsleder und – fein säuberlich davon getrennt – mehrere Sovereigns nebst einer Reihe Geschäftskarten von einem Klub und einem exklusiven Restaurant. Etwa ein Dutzend Karten stammten vom Opfer selbst. Sie trugen die Aufschrift »Major the Honorable Joscelin Grey, Mecklenburg Square 6, London«.
    »Ist das jetzt endgültig alles?« fragte Monk.
    »Ja, Sir. Es sind insgesamt sieben Schilling und Sixpence. Falls es tatsächlich einen Dieb gab, ist es ziemlich seltsam, daß er sie nicht eingesteckt hat.«
    »Vielleicht hatte er Angst – er kann selbst verletzt gewesen sein.« Etwas anderes fiel ihm

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