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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nun, da er angesprochen wurde, richtete er seinen langen Körper ein wenig auf.
    »Niemand hat etwas gehört oder gesehen, anhand dessen wir die Tatzeit oder den Tathergang bestimmen könnten. Und wir haben nicht mal ein eindeutiges Motiv.«
    Das überraschte Monk und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder aufs Berufliche. Er mußte bei der Sache bleiben. Es würde schon ohne Tagträumereien schwer genug werden, den Eindruck eines kompetenten Polizeibeamten zu vermitteln.
    »Kein Raubüberfall?«
    Evan schüttelte den Kopf und zuckte kaum merklich mit den Achseln. Er strahlte mühelos genau die Eleganz aus, die Monk anstrebte und Runcorn so völlig fehlte.
    »Es sei denn, der Dieb wurde durch irgend etwas verscheucht«, sagte er. »In Greys Brieftasche war Geld, darüber hinaus befanden sich in dem Zimmer einige wertvolle Gegenstände, die er leicht hätte transportieren können. Eine Sache ist möglicherweise von Bedeutung: Er trug keine Uhr. Männer wie er besitzen gewöhnlich recht teure Uhren, mit Gravur und so, und eine Uhrenkette hatte er bei sich.«
    Monk ließ sich auf der Schreibtischkante nieder.
    »Vielleicht hat er sie versetzt?« schlug er vor. »Hat schon mal jemand eine Uhr an ihm gesehen?« Eine durchaus intelligente Schlußfolgerung und obendrein ganz instinktiv gezogen. Auch Reiche hatten gelegentlich kein Geld flüssig, zu kostspielig gespeist oder sich eine Garderobe zugelegt, die ihre Mittel überstieg, so daß sie vorübergehend in finanzielle Verlegenheit gerieten. Was wußte er über derartige Dinge, daß er auf diese Idee gekommen war? War er auf dem Gebiet detektivischer Spitzfindigkeiten ein solches Naturtalent, daß er gut und gern ohne Erfahrung und Erinnerungen auskam?
    Evan errötete leicht. Der Blick seiner rehbraunen Augen wurde etwas verlegen.
    »Ich fürchte, das werden wir nie erfahren, Sir. Die Leute, die wir danach gefragt haben, wissen es offenbar nicht mehr genau. Manche erinnern sich dunkel an so etwas wie eine Uhr, andere nicht. Jedenfalls gab uns niemand eine exakte Beschreibung. Wir haben uns auch schon gefragt, ob er sie versetzt haben könnte, aber wir fanden keinen Pfandschein bei ihm und haben uns alle hiesigen Leihhäuser vorgeknöpft.«
    »Erfolglos?«
    Evans nickte. »Auf der ganzen Linie, Sir.«
    »Wir würden also gar nicht merken, wenn sie urplötzlich irgendwo auftaucht?« fragte Monk enttäuscht und machte eine Handbewegung in Richtung Tür. »Irgendein hundserbärmlicher Teufel könnte hier hereinspazieren und damit herumprotzen, und wir wären keinen Deut schlauer. Trotzdem – falls der Mörder sie einsteckte, bin ich ziemlich sicher, daß er sie in den Fluß geworfen hat, als das ganze Zeter und Mordio losging. Wenn nicht, ist er wirklich so dämlich, daß er nicht frei rumlaufen dürfte.« Er widmete sich wieder dem Papierstapel und blätterte ihn achtlos durch. »Mal sehen, was wir hier sonst noch haben.«
    Die nächste Aussage stammte von einem Mann, der in der gegenüberliegenden Wohnung wohnte, einem gewissen Albert Scarsdale. Sie klang reichlich barsch und bissig. Mr. Scarsdale nahm es Grey offensichtlich übel, daß er sich als derart egoistisch und geschmacklos erwiesen hatte, sich ausgerechnet am Mecklenburg Square ermorden zu lassen. Er war wohl der Ansicht, je weniger er darüber zu sagen hatte, desto schneller würde die Angelegenheit in Vergessenheit geraten und desto eher könnte er sich von der schmutzigen Geschichte distanzieren.
    Er glaubte, so räumte er ein, erst gegen acht und dann wieder um Viertel vor zehn jemand auf dem Flur zwischen seiner und Greys Wohnung gehört zu haben. Er könne unmöglich sagen, ob es sich dabei um ein und denselben oder zwei verschiedene Besucher gehandelt habe, er sei nicht einmal sicher, ob es nur ein streunendes Tier gewesen war, eine Katze vielleicht, oder der Portier auf seinem Rundgang – Scarsdales Wahl der Worte nach zu urteilen rangierten beide ohnehin auf derselben Stufe. Es könne auch ein Laufbursche gewesen sein, der sich verlaufen hatte, oder wer weiß was sonst noch. Er sei mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen und habe nichts Auffälliges gehört oder gesehen. Diese Erklärung war mit verschnörkelter, unausgeglichener Handschrift unterzeichnet und somit als wahr bescheinigt worden.
    Monk sah zu Evan hinüber, der nach wie vor am Fenster stand.
    »Mr. Scarsdale klingt wie ein störrischer, alter Gaul«, bemerkte er trocken.
    »Und wie, Sir«, pflichtete Evan ihm mit leuchtenden

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