Das Gesicht des Teufels
nach der Frau um, der sie gehörte. Sie musste unbemerkt eingetreten sein. Wie lange sie sie wohl schon beobachtete?
«Ja, Mutter Oberin.»
«Ab jetzt Agathe.»
Ulrichs Schwester erhob sich und fasste Hanna bei den Schultern. Sanft schob sie sie zurück zum Bett und erklärte, dass sie seit gestern Abend zu Besuch weilte – gewissermaßen als Ersatz für ihren Bruder, der zum Landkomtur Wolfgang von Bibra nach Mergentheim bestellt war.
«Was? Er ist nicht da?»
Erschrocken schaute Hanna Agathe an. Ihre Augen hatten sich geweitet, gleichzeitig schien alles Licht darin zu erlöschen.
«Nein, er ist nicht da, Hanna. So wenig wie die Aufständischen. Zumindest bis auf eine Handvoll, die sich mittlerweile hier eingenistet haben, als hätten sie nie woanders gelebt.» Agathes Stimme klang nicht unfreundlich, aber alles andere als warm. Nur wenig einfühlsamer fuhr sie nach einer Pause fort: «Weißt du, ich sage dir eins: Das sind die Klügsten. Als Priorin könnte ich auch sagen, die Frömmsten oder Furchtsamsten. Deine letzten Worte, meine Liebe, von brennenden Fahnen, Blut und Kanonendonner, ja, das hat auf viele Eindruck gemacht. Andersgesagt, sie haben Angst bekommen. Aber dann kamen die Nachrichten von den überall in den süddeutschen Landen sich formierenden Haufen, und plötzlich hieß es: Was soll sie auch anderes sagen in ihrem Schmerz und ihrer Wut? Wo sie doch weiße Wunden hat und wir eine Unschuldige geprüft haben! Und so kam es, dass sich die Herren Aufständischen unter der Führung ihres Paul Ickelsheimer in der Zwischenzeit mit den Leuzenbronner und Neusitzer Bauernhaufen vereinigt haben. Jetzt sind sie an die viertausend Mann stark und lagern an der nördlichen Hegegrenze bei Reichardsroth.»
«Es war ein neues Gesicht, Agathe. Noch nie habe ich solch schreckliche Bilder gesehen.»
«Da sei Gott vor, dass sie in Erfüllung gehen.»
Agathe half Hanna, sich wieder im Bett auszustrecken. Sie zog die Vorhänge bis auf einen Spalt zu und setzte sich. Ein dünnes Lächeln spielte um ihren Mund, nach einer Weile rutschte sie angespannt auf ihrem Stuhl herum. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus.
«Hanna … ich …»
Sie brach ab und schloss die Augen. Hanna wartete, schwieg. Sie konnte sich vorstellen, was Agathe von Detwang beschäftigte. Es ist ihr Stolz, dachte sie. Die Priorin will nicht zugeben, einer Köhlerin verpflichtet zu sein. Dabei ist es doch nur ein so kleines, kurzes Wort.
Nach einer Weile spürte sie, wie Ulrichs Schwester sie ansah. Agathe von Detwang räusperte sich und atmete tief ein. «Hanna … ich möchte mich bei dir bedanken. Ohne dein Opfer … sie hätten in ihrer Wut vermutlich alles geplündert und uns dann den roten Hahn aufgesteckt. Du warst ein Muster an Tugendhaftigkeit. Wir werden immer in deiner Schuld stehen.»
Hanna wandte den Kopf. Sie schaute Agathe offen an, doch ihr Lächeln war flüchtig: «Ich habe es aus Liebe getan.Aus verzweifelter Liebe heraus. Es war eine innere Stimme in mir. Eine Melodie, und sie flüsterte mir zu, dass ich so handeln muss.»
«Nun, du bist jetzt auf jeden Fall eine unbescholtene Frau.» Agathes Augen färbten sich dunkel, gleichzeitig hatte sich wieder etwas Abweisendes in ihre Stimme geschlichen. Und als sie weiterredete, vermied sie es, Hanna anzublicken. «Die Bauern haben Wort gehalten: Deine weißen Wunden waren für die meisten Zeichen genug, andere, so sagt es meine Mutter, hätten wohl auch ein schlechtes Gewissen bekommen. Für etliche bist du jetzt wirklich eine Seherin. Was glaubst du, wie unser Kloster belagert wird. Die Rothenburger hoffen, du kehrst bald in die Stadt zurück.»
«Das heißt, hier in Detwang ist alles ruhig?»
«Wir schicken sie schon am Dorfeingang fort.»
«Und Marie? Der Hegemeister?»
«Marie und ihr kleiner Freund, dieser Lienhart, haben nur ihren Babur im Kopf. Sie liest jetzt flüssig und kann sogar schon nach Diktat schreiben. Ich habe Schwester Rahel und Gisela verboten, sich mit ihr auf Gespräche … darüber einzulassen. Zum Glück glaubt Marie mir, dass es dir schon wieder bessergeht. Sie möchte dich natürlich besuchen, aber ich habe ihr Arrest angedroht, sollte sie es tun. Du weißt, es ist nur zu ihrem Schutz. Denn wenn sie dich sähe … nein, Hanna. Ihre Kinderseele ist wie Wachs. Sie würde Schaden nehmen.»
Hanna nickte, schloss die Augen. Die Schwäche, die sie übermannte, war vollkommen. Sie hätte noch viele Fragen gehabt, aber was hätte sie mit
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