Das Gesicht des Teufels
Brüder zu bezeichnen und ihnen freundlich Gehör zu schenken. Freudengebrüll wogte hoch zu Ulrich und Katharina, die in der Stube vom offenen Fenster aus die Vorbereitung des Unfassbaren verfolgten. Kühl wehte der Wind zu ihnen herein, das frühlingshafte Licht der Frühe hatte alle Kraft verloren.
Ulrich hielt seine Mutter, Katharina ihren Sohn. Beide hatten sie denselben erloschenen Blick, in dem sich einzig das Grauen widerspiegelte. In einem Trog voller glühender Holzkohle briet ein Hufeisen, das einer der Reisigen in regelmäßigen Abständen mit der Schmiedezange herauszog und auf Farbe prüfte. Hanna saß ein Stück abseits auf einem Armlehnstuhl, in der Hand die Korbflasche mit dem Obstbranntwein.
«Trink nur», hörten Katharina und Ulrich Paul Ickelsheimer ihr zureden. «Wir sind Bauern, keine Unmenschen. Stärk dich. Je mehr du trinkst, desto weniger spürst du.»
Sie sahen, wie Hanna nickte und die Flasche ansetzte. Sie trank in kleinen Schlucken, schüttelte sich. Mühsam erhob sie sich schließlich und wankte an den Trog, doch Paul Ickelsheimer führte sie weg.
Von ihrem Fensterplatz aus wirkte es für Ulrich und seine Mutter, als würde da einer seine Schwester vor einem schrecklichen Anblick schützen wollen. Ihre Ohnmacht wuchs. Schließlich krallten sie sich aneinander, um am anderen Halt zu finden und nicht den Verstand zu verlieren. Ulrichs Mund zitterte unablässig, und Katharinas hoheitsvolles, strenges Gesicht war von kohlschwarzen Augenringen gezeichnet.
Und wenn doch alles nur ein Spuk ist?
Einen kurzen Augenblick lang musste Ulrich an die tanzenden Narren in den Fensterlaibungen der Detwanger Kirche denken, doch diese Hoffnung barst wie ein Glasballon, als der raue Ruf erscholl: «Es ist angerichtet!»
Rot glühte das Hufeisen in der Luft, triumphierend in die Höhe gehalten wie eine erbeutete Fahne.
Ulrich begann zu weinen, seine Mutter nestelte nach ihrem Kreuz. Da drehte Hanna sich zu ihnen um. Sie lächelte – und der Blick, den sie Mutter und Sohn zuwarf, war fest und klar: «Ich liebe dich. Als ob ich nicht wüsste, was Glut ist!» Sie hob den Arm, winkte.
«Hanna!»
Mehr als heiser ihren Namen zu rufen, vermochte Ulrich nicht mehr. Hanna zuzuwinken, dafür hatte nur noch Katharina die Kraft. Trommelschlag erklang, eine Menschengasse formierte sich. Das Grau des Himmels war jetzt das eines alten Kessels, vom Lagerfeuer zogen Rauchschwaden durch den Hof.
«Wir geloben, Hanna Völz, dich als unbescholtene weise Frau anzuerkennen, sollte Gott dir beistehen», tönte Paul Ickelsheimer vollmundig. «Nie wieder sollst du von uns Bauern und Reisigen Hexe geschimpft werden. Das schwören wir dir, auch im Namen aller anderen Männer der Hege, die beschlossen haben, das Joch ihrer Herrschaft abzuschütteln.»
So grenzenlos die Einfalt dieser Worte ist, so maßlos seid ihr in eurer Selbstüberhebung. Und deshalb werdet ihr scheitern, dachte Hanna. Ihr alle. Noch fühlt ihr euch obenauf, aber euer Untergang ist nur eine Frage der Zeit.
«Nur sieben Schritte, Hanna Völz.»
Während ihr die Handgelenke zusammengebunden wurden, fiel Ulrich sinnloses scholastisches Wissen ein: Sieben setzt sich zusammen aus drei und vier, den Zahlen für die Heilige Dreifaltigkeit und die vier Wind- undHimmelsrichtungen. Seine Gedanken begannen zu rasen. Drei ist Gott, vier ist die Welt, tönte es in ihm, und darum ist die Sieben das Symbol für die Ganzheit des Menschen.
Der Schweiß brach ihm aus, und er hörte seine Mutter beten. Als er gewahr wurde, wie sich die Zange mit dem glühenden Hufeisen Hannas Händen näherte, sagte etwas in ihm: Sie ist Köhlerin, Köhlerin, Köhlerin … sie kennt Glut …
Als Hanna losschrie, begann auch er zu schreien. Bei den sieben Schritten, in denen sich die Glut durch die Schwielen ihrer Hände fraß, verwirrten sich seine Gedanken. Er fühlte alles in eins, sah Hannas moosfeuchte Augen, spürte ihren Leib, schmeckte ihr Geschlecht, roch ihre Umarmung. Erst ihr heiser versandendes Gellen, als sie ihre Hände in die volle Wassertonne steckte, brachte ihn wieder zu sich.
«So lasst mich doch zu ihr!»
Es wurde ihm gewährt. Ulrich flog die Stufen hinab. Als er von hinten die Arme um Hanna schlang, zuckte sie zusammen. Er fürchtete sich vor ihrem Anblick, und als Hanna ihm den Kopf zuwandte, fragte er sich für den Bruchteil eines Augenblicks, ob dieses Wesen wirklich seine Hanna war. Ihre wachsweiße Haut hing schlaff und faltig herab, die vollen
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