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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
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noch die Spuren des Grauens. Allein ihr Haar glänzte wieder. Gewaschen und zu Ährenkränzen geflochten, rahmte es ihr Gesicht ein.
    «Der Henker ist auch ein Mensch, Mutter», fuhr Ulrich fort. «Und er weiß mehr über Anatomie als alle Studierten zusammen. Würde ich mir die Knochen brechen, ich würde sie mir vom Henker zusammenfügen lassen.»
    «Aber er ist unehrenhaft wie kein anderer!», begehrte Katharina von Detwang flüsternd auf. «Jeder weiß, dass er mit den allergrässlichsten Teilen Handel treibt. Wenn dich nun jemand gesehen hat, wie stehen wir da!»
    «Mutter!» Brüsk stellte Ulrich seinen Teller neben sich auf den Boden. «Glaubst du, mir ging das nicht auch im Kopf herum, als ich vor der Tür des Henkersturms stand? Aber ist das wichtig?»
    «Du liebst sie jetzt noch mehr, nicht wahr?»
    «Was soll diese Frage?» Ulrich flüsterte zwar, aber seine Stimme zischte vor Zorn. Starr schaute er seine Mutter an, so lange, bis sie den Blick senkte.
    Hoffte sie etwa noch immer, er würde es sich anders überlegen?
    Ungläubig schüttelte er den Kopf. Die Vorstellung, dass es so sein könnte, schmerzte. Auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, erschien ihm jetzt schon wie Verrat. Leise fuhr er fort: «Du wehrst dich gegen den göttlichen Willen, Mutter, wenn du dich immer noch gegen Hannas Stand wehrst. Weißt du, was ich vom Henker gelernt habe? Brandwunden dieser Art bluten nicht, und der Schmerz entsteht von den Rändern her. Und die Wunden selbst sind weiß. Weiß aber ist die Farbe der Unschuld, weshalb viele Henker mit Gott hadern, wenn sie mit Glühzangen strafen müssen. Gott selbst spricht dadurch zu uns: dass wir Feuerqualen ein für alle Mal abschaffen sollen.»
    Katharina von Detwang ging nicht weiter auf Ulrichs Worte ein. Stattdessen beugte sie sich über Hanna und streichelte ihr mit Zeige- und Ringfinger die Wange. «Dann sind die quittensaftgetränkten Leinenstreifen und die rohen zerstoßenen Kohlblätter auf Hannas Handinnenflächen also Henkersmedizin?»
    «Lass das», sagte Ulrich barsch. «Was lügst du sie an?» Er schnellte von seinem Stuhl auf, stellte sich vor seine Mutter und schaute auf sie herab, als wolle er sie im nächsten Moment packen und aus dem Zimmer werfen.
    «Was fällt dir ein? Reiß dich zusammen, ja?»
    Katharina von Detwangs schrille Stimme riss Hanna aus ihrem Fieberschlaf. Ihr Kopf schlug von einer Seite auf die andere. Ihre Lippen bewegten sich und murmelten Unverständliches. Dann seufzte sie wie befreit auf und schlief wieder ruhig weiter.
    «Sie und ich gleichen den Trauben in der Kelter, Mutter», brach Ulrich das Schweigen. «Wie ihnen das Kostbarste abgepresst wird, presst Gott aus uns die Liebe heraus. Wir sind eins, wie der Saft verschiedener Trauben.» Er lauschte seinen Worten nach, nickte. Schließlich reichte er seiner Mutter die Hand und half ihr auf. «Du wirst uns Ostern deinen Segen geben. Sonst hast du einen Sohn gehabt.»

28
    Sieben Tage später stand Hanna das erste Mal ohne fremde Hilfe auf den Beinen. Die Schwäche war auszuhalten, der Schwindel jedoch drohte sie niederzuwerfen. Sie stützte sich mit zusammengebissenen Zähnen an einem hellgebeizten Buchenschrank neben ihr ab. Nach einer Weile tappte sie weiter zum Fenster und schob den Vorhang zur Seite. Vorsichtig beugte sie sich vor, um einen Blick in den Hof zu werfen.
    Mit einem gequälten Aufschrei fuhr sie zurück und schaute sich um.
    Ich träume, dachte sie, doch sie wusste, dass dies nicht stimmte.
    Der Schrank und die mit Blumenschnitzereien verzierte Truhe standen so irdisch verlässlich im Raum wie Ulrichs Baldachinbett, in dem sie die letzten Tage gelegen hatte. Noch einmal beugte sie sich vor, um aus dem Fenster zu schauen. Sie hielt die Luft an – doch es war wieder nichts. Nur ein großer schwarzer Fleck erinnerte daran, dass an dieser Stelle ein gewaltiges Lagerfeuer gebrannt hatte.
    Aber   … das Hufeisen   … die Schmerzen. War alles umsonst gewesen? Ihr Leid völlig vergeudet?
    Es setzte ihr einen heftigen Stich ins Herz. Blinzelndhob sie die locker verbundenen Hände vors Gesicht. Jetzt blendete das helle Licht nicht mehr. Dafür zog Hanna der Duft von frischem Kohl und Quittensaft in die Nase. Ihre Fingerspitzen fühlten sich kühl an, aber sobald sie die Finger auch nur leicht bewegte, biss der Schmerz in ihre Handinnenflächen.
    Scharf sog sie die Luft ein.
    «Du wolltest ja keinen Theriak mehr.»
    Hanna kannte die Stimme. Doch sie drehte sich nicht

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