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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
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hatten, noch ein zweites Mal.
    Laut und klar füllten die Stimmen Hans Völtz’ Köhlerhütte. Noch nie war hier mit solcher Inbrunst gesungen worden, noch nie so laut. Mit jeder Faser ihres Leibes genoss Hanna dieses Gefühl von Gemeinschaft und Geborgenheit.
    Jetzt wird alles gut, frohlockte sie, selbst wenn die Welt voller Teufel wär.

36
    Das Fenster in der guten Stube des Detwang’schen Gutshauses stand an diesem Ostermontag offen, bis auf das schwache Säuseln des Windes war es still. Das Wetter hatte über Nacht umgeschlagen, der Frühling hatte den Wintereinbruch der letzten Tage vertrieben.
    Wie langweilig Festtage sind, dachte Marie. Egal, ob bei den Nonnen in der Stadt oder hier bei Ulrich und Katharina. Nicht einmal Hunger auf was Schönes hab ich jetzt.
    Verdrossen hielt sie sich ein Stück Hefezopf unter die Nase, aber so köstlich es auch duftete, Marie legte es zurück in den Korb. Ich hab nichts zu machen, sagte sie halblaut und räkelte sich schläfrig auf ihrem Stuhl. Nach zwei roten Ostereiern, deren Hälften sie sich mit Senfund Essig gefüllt in den Mund gequetscht hatte, drei dick bebutterten Scheiben Rosinenkuchen und einer Schale Quark mit eingelegten Birnen war ihr Bauch zum Platzen voll. Da schmeckte ihr selbst der Rest des süßen ungarischen Osterweins nicht mehr – vielleicht wurde ihr davon sogar noch schlecht.
    Marie gähnte und schielte zum Lesepult hinüber, auf dem eine große Bibel lag. Am liebsten hätte sie sich wieder ins Bett gelegt, aber das hätte Ärger gegeben. Wenn sie schon nicht mit in die Kirche geht, muss sie in der Heiligen Schrift lesen und etwas auswendig lernen, erinnerte sie sich an Katharinas Worte. Zuvor hatte Ulrich verfügt, sie brauche diesen Morgen nicht zur Messe mitkommen.
    Was war nun eigentlich schlimmer?
    Hier die ersten beiden Kapitel von Lukas’ Apostelgeschichte zu lesen, um sie dann heute Nachmittag Katharina nachzuerzählen, oder in der Kirche die Messe mitzumachen und vor Langeweile verrückt zu werden?
    Lieber lesen, dachte Marie, gähnte noch einmal herzhaft und rutschte vom Stuhl. Sie taumelte vors Pult und legte die Stirn auf die aufgeschlagenen Seiten. Schließlich aber begann sie zu lesen. Aha, in Kapitel eins ging es um Christi Himmelfahrt und in Kapitel zwei um irgendwas mit Pfingsten   …
    Eigentlich ist es wirklich nett von Ulrich, schweiften ihre Gedanken ab. Schließlich musste ich Karfreitag und Samstag bei den Nonnen stillhalten und gestern hier in der Detwanger Kapelle. Auch wenn sie hübsch ist und Ulrich mich auf die Narren in den Fensterlaibungen aufmerksam gemacht hat, dieses dauernde Latein ist öde. Aber vielleicht werden die Katholischen die Messen ja bald genauso auf Deutsch halten, wie es die Lutherischen jetzt wollen.
    Marie versuchte sich vorzustellen, wie es am Karfreitagin St.   Jakob zugegangen war, als Ratsprediger Teuschlin und sein Freund, dieser Dr.   ABC, deutsch gepredigt und alle katholischen Sakramente und Zeremonien verworfen hatten.
    Marie gähnte noch einmal, dass der Kiefer knackte. Sie hatte das Gefühl, an ihren Augenlidern hingen Gewichte und in ihrem Kopf summten Hummeln.
    Aber halt, was war das? Marie hob den Kopf.
    «Babur, Babur ist da.»
    Maries Gesicht leuchtete auf. Sie trat ans Fenster und beugte sich hinaus. Baburs tiefes Gebell wurde lauter, kurz darauf jagte er auf den Hof.
    «Nicht so schnell!», ertönte eine Jungenstimme. Das war Lienhart.
    «Babur!», rief Marie. «Lienhart, ich komme.»
    Alle Müdigkeit war vergessen. Was für eine Überraschung! Also hatte Lienhart es auch nicht mehr ausgehalten. Bei solch einem Wetter war man einfach draußen und nicht in einer düsteren Kirche.
    Marie stürmte die Treppe hinab, rannte den Flur entlang durch die Küche und rief in der Gesindestube Ulrichs krummem Kammerdiener zu, sie sei mit Lienhart und Babur unterwegs.
    «Nur, wenn du deine Kapitel aus der Apostelgeschichte gelesen hast.» So krumm Ulrichs Kammerdiener war, im Kopf war er so klar, als wäre er vierzig Jahre jünger. «Komm her», sagte er streng und musterte Marie mit durchdringendem Blick.
    «Ich schwör’s, Gustav!»
    Marie hob zwei Finger und legte sogar die Hand aufs Herz.
    «In Gottes Namen. Aber nehmt euch in Acht.»
    «Babur ist doch mit.»
    Mit ausgebreiteten Armen flog sie auf Babur zu, derüber das ganze Gesicht zu strahlen schien. Er leckte ihr einmal über die Wange, bellte ausgelassen und sprang hechelnd um die beiden Kinder herum. Lienhart warf einen Prügel,

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