Das Gesicht des Teufels
dem Babur hinterherhetzte und den er sofort zurückbrachte. Seine Augen leuchteten glücklich, und er drängte sich, den Prügel im Maul, mehrfach zwischen beiden hindurch, bevor er etwas in die Nase bekam und davonschoss.
«Was machen wir?»
«In die Stadt gehen. Teuschlin und ABC sind in Hochform.»
«Du willst nach St. Jakob?»
«Ach was. Bis wir da sind, ist die Messe doch längst vorbei. Aber hier ist es ja noch langweiliger als in der Stadt.»
«Stimmt. Vielleicht passiert ja was.»
Die Stadt schwirrte vor Unruhe. Fenster und Türen standen offen, und wer laufen konnte, war unterwegs. Von überallher erklangen Trommelschläge, in der Ferne wurde gar geschossen. Es war ein herrlicher Frühlingstag. Kleine Haufenwolken zogen am milchig blauen Himmel entlang, die Luft war lau. Es roch nach Erde, Stein und Wasser, dann und wann nach Kompost und frischgebackenem Brot. Babur, der noch immer seinen Prügel im Maul hatte, rannte in offene Hausflure und zickzack durch die Menschen, doch als Männer mit Dreschflegeln in der Hand in einer Gasse erschienen, suchte er das Weite. Marie und Lienhart konnten so viel nach ihm rufen, wie sie wollten: An der Nordmauer des Dominikanerinnenklosters sahen sie ihn zum letzten Mal.
«Ist auch besser so», meinte Marie. «Er hat’s nicht vergessen.»
«Ja. Guck mal, selbst die Weiber wollen es heute wissen. Besen und Obststangen.»
«Und alle haben sie sich das Kreidekeuz aufgemalt.»
«Mh.»
Auf einmal hat niemand mehr Angst, sich als Freund der Aufständischen zu erkennen zu geben, wunderte sich Marie.
Auch sie wusste längst, dass das Kreidekreuz das Erkennungszeichen der Aufständischen war. Wer mit ihnen sympathisierte, hatte es sich auf Rock und Hut gemalt, jetzt schien es, als wollte sich die halbe Einwohnerschaft der Stadt dazu bekennen. Die wenigen Menschen ohne Kreidekreuz, die Marie in der Klinggasse entdeckte, waren grüppchenweise beieinanderstehende Geistliche und Familien der Deutschherren. Rechts und links der Klinggasse besaßen sie Wohnhäuser, Stallungen, Scheunen und Gärten. Die Geistlichen selbst bewohnten ein mächtiges Gebäude mit Hof und eigenem Brunnen.
«Wie sie gucken, das faule Pack. Haben alle Angst.»
«Ulrich nicht.»
«Das würde ich auch sagen, wär ich sein Mantelkind.»
«Bist ja nur neidisch.»
«Stimmt. Ich tät auch gern lesen lernen und mich immer satt essen können.»
«Ich bring’s dir bei.»
«Was, das Essen? Das kann ich selbst. Und mindestens so gut wie du.»
Da begannen die Glocken von St. Jakob zu läuten. Pfiffe erschollen, in der Klostergasse stimmte ein Trupp Weinbauern das Lied der Aufständischen an. Rätschen wurden geschwungen, Klappern geschlagen. Marie und Lienhart wurden von einer Menschentraube eingeschlossen und fanden sich schließlich auf dem Marktplatz wieder. Dort sahen sie einen Mann in Gelehrtenkluft und mit einer goldenen Kette um den Hals von einem Bretterpodest herab sprechen. Er war von Aufständischenmit Blankwaffen und Feuerbüchsen umringt, die weiße Fahnen schwangen.
«Das ist der Doktor ABC», sagte Lienhart.
«Hab ich mir gedacht. Und, was sagt er?»
Sie drängelten sich durch die Menge, bis sie nicht mehr weiterkamen.
«Wollt ihr sehen?», fragte ein vor Begeisterung strahlender Weinbauer. Er kam Marie doppelt so groß vor, wie sie oder Lienhart waren, und in der Tat: Allein seine Hände mochten so breit sein wie sie. Marie nickte, denn sie spürte, dieser Hüne war die Gutmütigkeit in Person. «Ich bin Rupert, und mein Freund heißt Jonas.» Er grinste offen und stieß seinen Nebenmann an. «Los, Jonas, den Kindern gehört die Zukunft.»
Rupert hob sich Marie auf die Schultern, Jonas Lienhart. Marie jubelte, Lienhart klatschte in die Hände. Sie spitzten die Ohren, allmählich wurde es etwas leiser.
«… und neue Kunde habe ich auch, für alle, die noch zweifeln!», rief Dr. Andreas Bodenstedt. «Und ich schwöre bei meinem Seelenheil, dass ich nicht lüge, wenn ich euch erzähle, dass im Weinsbergischen der Graf von Helfenstein, der Obervogt unserer württembergischen Leidens- und Glaubensbrüder, gedroht hat, alle Dörfer mit Mann und Maus niederzubrennen. Roh bricht er mit seinen Schlächtern aus Weinsberg auf und mordet, was ihm vor die Hufe kommt. Aber ist er allein? Nein! Der Graf von Wertheim … der ist einer, der seine Leute gleich die Höfe plündern lässt, Gefangene nimmt, sie foltert und zu seinem Spaß ein ganzes Dorf anzündet.» Die Worte
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