Das Gesicht des Teufels
Waldboden spielte mit Schatten und Licht.
Da sah er sie.
Sie schrak zusammen, blieb stehen.
Mein Gott, ist sie schön!
Ein freudiger Schreck durchzuckte ihn. Er brachte Raban zum Stehen und schwang sich aus dem Sattel. Als er auf sie zutrat, wich sie zurück.
«Ich bin’s nur.» Ohne weiter nachzudenken, ging er weiter, doch dann besann er sich, blieb stehen und kniete nieder. Stumm und ritterlich verharrte er mit gesenktem Kopf, schaute schließlich auf. Ihre Blicke begegneten sich. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. «Möchtest du meine Frau werden?»
«Ulrich!» Tränen schossen Hanna in die Augen. Sie warf sich in seine ausgebreiteten Arme, ließ sich wiegen. Lange standen sie so da. Erst nachdem ihr Herz wieder ruhig schlug, schaute Hanna zu ihm auf. «Küss mich.»
«Ist das ein Befehl?», flüsterte er.
«Ja. Und sofort auszuführen.»
Von oben, auf den Schultern der Weinbauern, schien die Welt ein kleines Stückchen ungefährlicher zu sein. Aber Marie hätte es noch schöner gefunden, wenn sich zwischen den Massen, die zum Kobolzeller Tor drängten, nicht auch bewaffnete Rothenburger Reisige befunden hätten.
Plötzlich packte sie das Grauen, als in ihrem Rücken das Lied der Aufständischen angestimmt wurde. Schrille Flöten peitschten die Melodie voran, und die Schläge der Trommeln waren so wuchtig und laut, dass die Stadtmauer zu beben schien. Die Erinnerung an den Herbst des letzten Jahres kehrte zurück: wie Hanna und sie am Kobolzeller Steig in die Enge getrieben worden waren, wie sie beide am Boden lagen. Sie hatte versucht, Babur zu schützen …
Auf einmal hatte sie sein Jaulen und Winseln im Ohr.
Babur, bist du wieder da? Aber das darfst du doch nicht …
Verwirrt schaute sie um sich, erblickte Lienhart. Er war ein Stück hinter ihr, sang mit und schwenkte sogar eine Fahne. Sein Gesicht leuchtete vor Begeisterung.
«Hast du Babur auch gehört?», rief sie.
«Nein. Du etwa?»
Marie schüttelte nur den Kopf. Erleichtert sah sie wieder nach vorne. Ich hab es mir nur eingebildet, dachte sie. Doch ihr Herz klopfte heftig, als sie am Plönlein angelangt waren. Da pflanzte sich der Ruf fort, der blinde Mönch führe die Tauber-Müller an. Die Menschen begannen zu rennen, hinter dem Kobolzeller Tor krachten Schüsse. Marie zogen weiße Schwaden von Pulverdampf in die Nase. Schrille Pfiffe gellten, Trommeln krachten, Schreie ertönten.
«Gut festhalten!» Rupert drehte den Kopf, lachte Marie zuversichtlich an. «Keine Bange. Die tun uns nichts.»
Er sah sich zu Jonas um, der nicht weniger zuversichtlich schien. Beide beschleunigten ihre Schritte, begannen zu rennen. Längst hatten sie das Kobolzeller Tor passiert. Marie bekam Angst, dass Rupert ausrutschte, aber der hielt sich so sicher auf den Beinen, als würde er auf dem Marktplatz umherlaufen.
Die Kobolzeller Kirche kam in Sicht. Auf dem Pfarrhof drängten sich mit Blankwaffen und Büchsen bewaffnete Bauern und Winzer, zwischen ihnen die Schar der Tauber-Müller mit ihren Knechten.
Und da war auch Jobst Gessler, der Herren-Müller!
«Lange genug habt ihr für die Deutschherren unter der Bank gelegen», hörte Marie Hans Schmidt predigen, der eine Regenbogenfahne schwenkte. «Jetzt gehört ihr auf die Bank! Lange genug habt ihr für sie Korn und Ölsaat gemahlen, Wein gekeltert, Brot gebacken. Jetzt sollt ihr essen und trinken. Lange genug haben die faulen Ritter euer Geld für Kirchentand und Bildnisse ausgegeben, für heidnisches papistisches Blendwerk. Jetzt gebt ihr es Armen und Kranken!»
Jubelrufe erklangen, während andere hinter die Pfarrgebäude eilten und Kirche und Pfarrhof umstellten.
Der blinde Mönch gab die Fahne ab und tappte mit ausgestrecktem Arm vor die Tür des Pfarrhauses. Seine Faust krachte gegen die Tür.
Sofort wurde sie geöffnet.
«Schließ dich uns an!», herrschte er den Pfarrer an. Dieser zitterte vor Angst. Hans Schmidt packte ihn an seiner Soutane und riss ihn auf den Hof. «Unser Herr Jesus Christus sagt: Mein Haus soll ein Bethaus heißen und keine Räuberhöhle sein – aber was habt ihr Deutschherren-Priester getan? Ebendies.» Er drehte sich zu den anderen um und wies mit ausgestrecktem Arm auf die Kirche.
Im selben Augenblick war es Marie, als träfe sie einBlitz. Erst fühlte sie sich wie gelähmt, dann lief es ihr eiskalt über den Rücken. Hanna, rief sie ihre Schwester in Gedanken, Hanna, sie werden die Kirche plündern. Wie du es damals in deinem Gesicht prophezeit hast! Es
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