Das Gesicht des Teufels
sie. Aber auch er ist ein Getriebener. Er kann nicht mehr zurück.
«Vielleicht ist alles nur Gaukelspiel, Blendwerk», antwortete Hanna ausweichend. «Wer kann schon wirklich in die Zukunft schauen? Ihr wisst ja, was der Paul Ickelsheimer mir angetan hat. Mir blieben nur Worte, um mich zu wehren.»
Stephan von Menzingen verzog das Gesicht. Er drückte Hanna ein paar Münzen in die Hand und ließ es sich nicht nehmen, mit dem Grobschmied den Karren über das Pflaster zu ziehen. Als die Hoftür aufschwang, wehte der Wind den Gesang eines Frauenchors die Neugasse hinauf. Hastig schlug der Grobschmied das Tor zu und verriegelte es, wenig später schon zogen eine Gruppe gutgekleideter Rothenburger, aber auch etliche Kinder die Gasse hoch. Sie wurden von zwei bewaffneten Berittenen begleitet, ihnen vorweg ritt Stadtrichter Jacob Aufreiter. Hanna und Ursula erkannten auf den ersten Blick, dass es Patrizierinnen waren, Hanna machte sogar einige Dominikanerinnen aus.
Immer neue Litaneien anstimmend, kamen die Frauen näher. Die Kinder stürmten vorweg, einige hatten Rätschen und Rasseln und versuchten, den Gesang damit zu übertönen.
«Was soll das alles?», fragte Ursula einen schmächtigen hoch aufgeschossenen Jungen, der mit einer Rassel schepperte.
«Sie ziehen einmal um die Stadt. Singen gegen die Gottlosigkeit an, wie sie sagen. Um beim Herrn Gnade für die Stadt zu erflehen.»
Hanna sah, wie Jacob Aufreiter sich von der Gruppe löste und auf sie zutrabte.
«Hast Kohle an den Grobschmied verkauft, Hanna Völz, wie?», fragte er drohend.
«Wie es Köhler immer tun. Ist das verboten?»
«Nein. Aber dieser Peter Wolff, müsstest du doch wissen, steckt mit dem von Menzingen unter einer Decke.»
«Ich bin nur Köhlerin.»
«Was besagt das schon. Du jubilierst doch auch, dass Bauern und deinesgleichen im ganzen Land die Klöster plündern, oder? Frauenklöster wie Lichtenstern und Scheftersheim? Was glaubst du, wie es den Nonnen dabei ergeht? Was sagt dein Angebeteter dazu, dass das Deutschherrenschloss Neuhaus geplündert und angesteckt wurde? In Mergentheim hat sich das ganze Volk auf die Kirchen und das Deutschherrenschloss gestürzt und geraubt, was zu holen war. Bei den Dominikanern haben sie Bücher verbrannt, Mönche erschlagen! Aber das ist recht so, oder?»
Die letzten Worte gingen beinahe im Gesang der Patrizierinnen unter. Hanna kam es vor, als hätten sich die Stimmen zwischen den Häuserwänden grell aufgeschaukelt, Aufreiter aber war schon weitergeritten.
Hanna sah ihm nach.
Auf der Höhe der Müllergasse schaute sich der Stadtrichter noch einmal um und rief: «Meine Geduld aber ist erschöpft! Es ist genug. Fluch euch allen!»
«Dass er überhaupt mit dir spricht, Hanna.»
«Komm, lass uns lieber zum Brauer Goltz gehen.» Sie bogen ein Stück weiter rechter Hand in die Brauhausgasse ab, an deren Ende die Brüder Goltz einen Brauereigasthof und eine Brennerei betrieben. «Warte du besser erst einmal draußen. Ich will vorfühlen. Denn mit den Goltz … ist das so eine Sache für sich.»
Die Lippen fest aufeinandergepresst, trat sie in die gut besuchte Schwemme, wo gewürfelt, aber auch dumpf in den Bierkrug geschwiegen wurde. Magdalena Goltz stand vor einem Fass und zapfte Bier, ein Brauerknecht griff sich die bereits vollen Krüge und trug sie zu einem Tisch.
«Magdalena?» Hans Goltz’ Frau reagierte nicht. «Magdalena», rief Hanna laut.
Fragend drehte die Brauersfrau sich um.
Hanna schrie auf und schlug sich entsetzt die Hände vors Gesicht: Magdalenas Lippen waren von blutigem Schorf überzogen, um beide Augen lagen blauviolette Schatten. In ihrem verquollenen Gesicht waren ein paar Äderchen geplatzt, am Haaransatz klebte Blut.
«Nimm mich mit, Hanna.»
Magdalena Goltz konnte nur flüstern. Vorsichtig stellte sie den vollen Bierkrug ab. Sie versuchte zu lächeln, ihre Blicke aber waren unstet und ängstlich. Auf Hanna machte sie den Eindruck, als wäre sie nicht ganz bei sich.
Sie steht kurz vor dem Zusammenbruch, dachte sie. Ich muss ihr helfen. Machen wir in der Köhlerei am Wachsenberg eben eine Weiberwirtschaft auf. Wenn die Männer nichts als Gewalt im Kopf haben, müssen wir Frauen zusammenhalten.
Sie ging um den Schanktisch herum und fasste Magdalena Goltz bei der Hand. «Komm mit. Auch wenn wir nicht viel zum Teilen haben: Angst brauchst du vor uns nicht zu haben.»
Magdalena traten die Tränen in die Augen. Sie ließ sich mitziehen wie eine kleine Schwester, schaute
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