Das Gesicht des Teufels
sollte Ostern geschehen, hier in Kobolzell. Jetzt wird es genau so kommen.
Marie begann zu zittern, sie war kalkweiß im Gesicht. Schon drangen ein paar Müller in das Haus ein. Triumphierend reckten sie die Schlüssel der Wirtschaftsgebäude in die Höhe, und auf einmal gab es kein Halten mehr. Sie hörte Jobst Gessler schreien, im Keller seien Krüge voller Öl und Schmalz sowie Tonnen mit gesalzenen Heringen. Der Dudelsackbläser spielte, dass ihm die Backen zu platzen drohten, auf einmal flogen Brotlaibe durch die Luft. Weinfässer wurden auf den Pfarrhof gerollt, Häcker rannten mit Krügen und Bechern aus dem Pfarrhaus, tranken gierig den Wein, den sie selbst sich nicht leisten konnten.
Plötzlich roch es nach Weihrauch und Wachs, nach Schweiß, Mist, verschüttetem Wein. Rupert war in den Sog derjenigen geraten, die ins Innere der Kirche drängten. Er nahm Marie von den Schultern, behielt sie aber an der Hand. Düsternis umfing sie, ohrenbetäubendes Johlen, Trommelschlagen, Scheppern und Poltern. Marie sah, wie ein Winzer das Bildnis des heiligen Jakobus in die Höhe hielt und auf seinem Knie zerbrach, worauf ein anderer die Marienstatue des Altars auf den Boden warf und zerstampfte. Bildtafeln mit dem Leben der Muttergottes wurden von den Wänden gerissen, aufgebrachte Stimmen forderten, sie allesamt zu verbrennen, andere schrien, man solle sie in den Fluss werfen oder Boote daraus bauen. Ein Weinbauer riss das Lesepult in die Höhe und schwankte damit durch den Gang. Als Rupert ihn sah, war es zu spät. Ein Fuß des Pultes traf ihn genau an der Stirn. Er schrie auf und sackte in die Knie.
Marie rettete sich mit einem Sprung zwischen die Kirchenbänke. Plötzlich wurde sie gepackt und auf die andere Seite gezogen.
«Himmel, Marie!»
«Arndt?»
«Erkennst du deinen eigenen Bruder nicht mehr? Zum Teufel, was tust du hier? Bist du toll? Raus mit dir. Wir schlagen hier alles kurz und klein.»
Ohne zu zögern fasste er ihre Hand und zog Marie mit sich.
«Nein, wir müssen zuerst nach Rupert schauen.»
«Nichts da … Rupert, wer ist das überhaupt? Du schaust, dass du hier rauskommst.»
Arndt zerrte Marie hinter sich durch den Mittelgang, während immer neue Bauern und Winzer zum Altar stürmten. Besorgt schaute sich Marie um. Ich kann Rupert doch jetzt nicht allein lassen, dachte sie. Er hat mich die ganze Zeit getragen … Sie versuchte, Arndt zurückzuziehen, doch natürlich war Arndt stärker. Da sah sie, wie sich Rupert wieder aufrichtete. Er presste sich den Handballen gegen die Stirn und schien noch ganz benommen.
«Rupert!», rief Marie aus Leibeskräften. «Mein Bruder ist hier.»
Sie hob den Arm und winkte ihm zu, doch schon im nächsten Augenblick hatte Arndt sie ins Freie auf den Pfarrhof gezerrt. Plünderer rannten mit Heiligenbildern und Schnitzfiguren im Kreis, Leuchter, Kruzifixe, vergoldete Monstranzen und Weihrauchkännchen wurden auf einen Haufen geworfen. Immer neue Anfeuerungsrufe erschallten, während Jobst Gessler mit einem anderen Mann eine Truhe aufbrach und ihr einen Priesterornat und andere Kultkleidung entriss. «Hat Christus wohl so was getragen?», krächzte er heiser und warf die einzelnenTeile in die Luft. «Eine golddurchwirkte Kasel? Soutanen aus Seide und Samt? Oder hier, Gürtel, die nur dazu dienen, fette Bäuche zu halten. Und wo steht geschrieben, dass unser Heiland Damast getragen hat?»
Er spießte das Zingulum auf eine Lanze und wedelte damit in der Luft herum.
Und dein Krächzen, Jobst Gessler, ist heiserer als das einer Krähe. Das waren Hannas Worte gewesen! Marie riss die Augen auf, konnte den Blick nicht von Jobst Gessler wenden.
Ein Pferd war zu hören.
«Marie! Arndt!» Hannas Stimme überschlug sich.
Sofort rannte ein Haufen Bauern, Winzer und Müller auf Raban zu. Einer legte mit der Büchse an und zielte. Ein Schuss krachte los, ging aber daneben. Ulrich zog sein Schwert, Hanna schrie. Ein Bauer nahm Anlauf, um seine Forke zu werfen, doch Arndt fiel ihm gerade noch rechtzeitig in den Arm.
«Nicht», rief er aufgeregt. «Das ist meine Schwester!»
«Bei einem Deutschherrn?»
«Und wennschon!»
Marie nutzte die Verwirrung, ohne sich um Hannas Rufe zu scheren, rannte sie zurück in die Kirche. Sie hatte nur einen Gedanken im Kopf: Ich muss nach Rupert schauen! Das müssen sie doch verstehen. Geschickt huschte sie an den Plünderern vorbei, die noch immer nicht genug hatten. Marie achtete nicht auf das Krachen des splitternden Holzes noch
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