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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
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sie hätte sich durchgesetzt, und das freut sie. Und dann hab ich wieder was bei ihr gut.»

43
    Der dritte Mai fiel dieses Jahr auf einen Mittwoch. Hanna hatte Ulrich jetzt seit einer guten Woche nicht mehr gesehen, und als sie morgens aufwachte, glaubte sie, vor Sehnsucht nach ihm zu vergehen.
    Sie hatte Frühschicht, Magdalena und Ursula schliefen fest. Auch Marie, die am Abend zuvor mit Lienhart und Babur gekommen war, rührte sich nicht. Sie hatte sich ihre Decke bis unters Kinn gezogen, ihr Mund war einen winzigen Spalt offen. Rußschlieren auf ihrer Stirn zeugten davon, dass sie sich nicht gewaschen hatte, das Knie, das unter der Decke hervorlugte, war ebenfalls schwarz.
    Babur hob den Kopf. Sein Schwanz zuckte, aufmerksam schaute er Hanna an. Sie legte den Finger auf den Mund, worauf Babur zu fiepen begann. Es fiel ihm sichtlich schwer, am Fußende von Maries Lager liegen zu bleiben, vor allem, als Hanna nach einer Weile aufstand.
    Sie verließ die Hütte und wusch sich. Ein herrlicher Tag kündigte sich an. Der Himmel war makellos, kein Wölkchen war zu sehen. Jetzt möchte ich mit dir und Rabanhinaus in die Welt, dachte Hanna. Wir würden immer am Fluss entlangreiten, von Gasthof zu Gasthof ziehen, vielleicht sogar einmal einsam um ein Feuer herumsitzen. Der eine würde des anderen Schlaf bewachen. Und irgendwann wären wir am Meer. Das möchte ich einmal in meinem Leben sehen.
    Nachdem sie nach den Meilern geschaut und bei einem die Decke ausgebessert hatte, schlenderte sie über die Lichtung zum Grab ihres Vaters, so wie sie es jeden Morgen tat. Sie betete, lehnte sich an den Eichenstamm und schloss die Augen. Was Marie gestern Abend erzählt hatte, hatte sie gehörig erschreckt. Wenn einer den bösen Blick hat, dann Jacob Aufreiter, dachte sie. Gibt es das wirklich, dass innerhalb von so kurzer Zeit erst die Schwiegereltern und dann die Schwägerin ihr Leben verlieren? Sie ging um den Stamm herum, rieb ihre Wange am Holz. Schon einmal habe ich hier ein Gesicht bekommen, dachte sie. Damals ging es um den Brand, das Beben und Maries Rettung.
    Aber auch um Ulrich.
    Da hörte sie Babur bellen. Hanna sah, wie Ursula schlaftrunken die Tür öffnete und ihn hinausließ. Ohne erst Witterung aufzunehmen, schoss Babur in weiten Sprüngen auf sie zu. Er bellte unaufhörlich, und als er sie erreicht hatte, winselte er.
    «Was ist los?» Babur rannte ins Dickicht, bellte, kam wieder zurück. Widerstrebend folgte Hanna ihm ein Stück. Doch es war nicht weit genug, Babur wollte noch tiefer in den Wald. «Nein, Babur, nur wenn es richtig warm und trocken wäre, aber hier ist es kalt und feucht. Nicht mit mir.»
    Sie ging zurück, mochte Babur so viel bellen, wie er wollte. Doch plötzlich erstarrte sie: Sie hörte Pferde, und zwar mehr als nur eines.
    Es sind mindestens zwei, dachte sie. Wer kommt sofrüh hier hoch? Bernward und Ulrich? Oder werden wir jetzt überfallen?
    Sie rannte auf die Hütte zu. Ursula öffnete die Tür.
    Schon einen Augenblick später waren die Reiter heran: drei geharnischte Rothenburger Stadtknechte, die direkt vom Büttelhaus gekommen sein mussten.
    «Du bist Hanna Völz?» Hanna nickte. Sie ahnte, welcher Satz jetzt folgen würde. «Du musst mitkommen.»
    «Warum?»
    «Das weißt du selbst am besten.»
    Wieder nickte Hanna. Jetzt war es so weit. Die Schlinge hatte sich zugezogen. Ulrich würde zu spät kommen.
    Eine Krähe schrie. Mittwoch, dachte Hanna. Es ist der Unglückstag. Alles Böse passiert immer am Mittwoch.

44
    Als sie aufwachte, war da zuerst der Geruch des Strohs. Es stank nach allen möglichen Ausscheidungen, war so staubig wie zerlegen und schirmte kaum gegen die Kälte des Steinbodens ab.
    Hanna spürte jeden Knochen, sie fühlte sich völlig zerschlagen. Stöhnend setzte sie sich auf und lehnte sich an die Wand. Das rostige Fußeisen hatte ihr bereits die Haut am Knöchel aufgerissen, aber die Beine konnte sie zum Glück ausstrecken. Die Kette war lang, länger als einst in der Zelle der Spitalbastei.
    Auf einmal packte sie das schlechte Gewissen. Berta und Friedlind – warum habe ich sie eigentlich nie besucht? Und was ist aus Spitalkaplan Ott geworden?
    Wer wird mich besuchen?
    Sie gähnte, ließ den Kopf kreisen. Meine erste Nacht imWeibersturm, dachte sie. Wie viele wird es noch geben? Sofort verbot sie sich, darüber nachzudenken. Stattdessen betrachtete sie den schmalen Lichtstreif, der rechts von ihr an der Wand stand – golden und klar, wie ein festes Zeichen der

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