Das Gesicht des Teufels
kannst du lesen und schreiben, aber na ja, ich bin dafür kräftiger.»
«Über so was denke ich nie nach.» Marie schaute Lienhart von der Seite an und wiegte den Kopf. «Aber da du ja nun einmal fragst: Ich kann dich leiden, aber lieben?»
«Darauf kommt es doch nicht an.»
«Warum? Meine Schwester nimmt den Mann, den sie liebt.»
«Da hat sie Glück. Sonst hätte sie diesen Valentin nehmen müssen, wie du mir mal erzählt hast.» Marie schniefte und überlegte. Lienhart wandte seinen semmelblondenKopf und sah sie an. «Am Anfang steht sowieso das Küssen, also?»
«Was also?»
«Na ja … das weißt du doch.»
«Bist du verliebt?»
«In dich.»
«Guck mal, es regnet nicht mehr.» Marie reckte den Kopf. Immer mehr Menschen verließen den Schutz von Hauseingängen und Mauervorsprüngen und strebten wieder zur alten Schranne, dem Getreidespeicher der Stadt.
«Das ist keine Antwort, Marie.»
Babur winselte, als Marie laut aufseufzte. «Ach Lienhart, lass den Unsinn. Das mit dem Küssen schlag dir aus dem Kopf. Damit ist nicht zu spaßen. Vielleicht ein andermal.»
«Gut, schön.»
Lienhart klang äußerst zufrieden. Marie schien es mit einem Mal, als löse sich seine Anspannung. Schon als er sie am Kloster abgepasst hatte, schien er ihr anders als sonst, ernster, verschlossener. Selbst seine vielen Sommersprossen sehen heute blasser aus, dachte sie. Vielleicht liegt’s am Regen, vielleicht aber doch daran, dass er ein Jahr älter ist als ich. Aber einen Kuss bekommt er nicht. Schließlich heißt er nicht Babur.
Endlich gingen sie weiter. Da Getreide immer knapper wurde, hatte der neue Rat beschlossen, die Schranne zu öffnen und das Korn, das dort für Notzeiten gelagert wurde, zum alten Preis zu verkaufen. Lienhart und Marie sahen zu, wie die Menschen Sack auf Sack aus der Schranne schleppten. Es wurde kaum gesprochen, jeder zog schnell seines Wegs, als wolle er verbergen, dass es um ihn und seine Familie schon so schlecht bestellt war.
Marie und Lienhart wurden unmittelbar von der gespanntenUnruhe der Stadt erfasst: Sie spähten jeden Platz aus, ob dort nicht möglicherweise Neuigkeiten verkündet wurden. Allein Babur war der Frühling wichtiger. Kein Grasbüschel, das er nicht beroch, keine Hausecke, die er nicht markierte. An der Kreuzung zur Judengasse scharte sich eine Menschentraube um einen Hegereiter, der verkündete, es gebe Anzeichen, dass die Bauern des Taubertaler Haufens die Stadt stürmen wollten. Auf dem Kirchplatz hielt der blinde Mönch eine aufrührerische Rede und beschwor die Rothenburger, dafür zu sorgen, Geschütze und andere Feuerwaffen an die befreundeten Schwarzen Haufen zu liefern.
«Warum das?», fragte Marie.
«Weil dann Würzburg fällt», frohlockte Lienhart.
«Und was haben wir davon?»
«Einen Fürstbischof weniger.»
«Und was bringt das?»
«Alles wird anders. Würzburg ist eben Würzburg, verstehst du? Wenn das in Bauernhand ist und es endlich gerecht zugeht, müssen wir alle den Buckel nicht mehr so krumm machen.»
Sie liefen weiter. Franziskanermönche kamen ihnen entgegen, denen sich die Kutten bauschten, vom Burgtor her wehte zwischen Rätschen- und Rasselgeräuschen eine von einem Frauenchor gesungene Litanei zu ihnen herüber.
Marie hob den Kopf, um besser zu hören: «Ob unserem Herrgott ihr Gesang gefällt?»
«Wenn er nicht so genau hinhört, wird er ihnen verzeihen.»
Marie knuffte Lienhart in die Seite, dieser lachte.
Babur bellte, blieb abrupt stehen. Er hob den Kopf und wirkte, als habe er etwas in die Nase bekommen. Dann rannte er los. Marie und Lienhart blieb nichts anderesübrig, als ebenfalls die Beine in die Hand zu nehmen. Sie hatten Glück und konnten Babur bald einholen, der sie mit seinen großen braunen Augen anlachte, als sei nichts gewesen. Marie setzte sich vor ihn und kraulte ihn hinter den Ohren, während Lienhart ihn zwischen den Beinen festhielt.
«Er ist und bleibt eben ein Ausreißer.»
«Aber nie ohne Grund.»
Marie schaute sich um. Es war nichts Ungewöhnliches zu sehen, also zogen sie weiter. An der Kreuzung zur Klinggasse trafen sie auf ein mit zwei Schweinen beladenes Fuhrwerk, das unter dem Geleitschutz mürrisch dreinblickender Bauern auf das Tor des Dominikanerinnenklosters zusteuerte.
Da gellte plötzlich der Schrei einer Frau über ihre Köpfe hinweg. Er kam aus einem der Häuser, die dem Klosterbezirk gegenüberlagen, und klang so schrill, dass nur etwas Entsetzliches passiert sein konnte. Marie sah die
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