Das Gesicht des Teufels
Hoffnung.
Sie betete. Stumm bewegte sie ihre Lippen, doch schon bald schweiften ihre Gedanken ab: Wie gut, dass es auf den Sommer zugeht. Der Stein heizt sich rasch auf, es ist trocken. Wie entsetzlich unwirtlich muss es dagegen im Angstloch des Faulturms sein, in einem richtigen Turmverlies.
Als von der nahen Meierei der Hofstatt am Rödertor das Muhen der Kühe zu ihr drang, lächelte sie. Ihr Magen knurrte plötzlich laut. Sie hatte gestern Abend nur einen Becher Wasser getrunken, da die Eisenmeisterin für sie erst etwas zu essen besorgen musste. Sie betrieb das Frauengefängnis der Stadt nebenbei, ihr Mann Hans verdiente sein Brot als Käser und Melker in der Hofstatt.
Hanna hoffte, die kleine, aber stämmige Frau würde sie nicht lange warten lassen. Beate hatte ihr freimütig gestanden, sie sei froh, wieder einen Gast zu haben: «Aber das Taggeld, das die Stadt für dich zahlt, langt zurzeit nur für ein Viertelpfund Brot. Wenn du mehr willst, musst du’s mir zahlen.»
Hanna döste für eine Weile ein. Schließlich hörte sie das Klirren eines Schlüsselbundes. Gleich darauf wurde aufgeschlossen, und die Eisenmeisterin trat ein.
Hanna riss überrascht die Augen auf. Denn Beate brachte nichts zu essen, sondern nur einen kleinen Krug Milch. Zudem wirkte sie übernächtigt und sah aus, als habe sie gerade geweint.
«Was ist passiert?»
«Er hat mir dein Geld aus der Hand gerissen und ist ins Wirtshaus.»
«Das wird ihn teuer zu stehen kommen», brauste Hanna auf. «Wenn ich das Ulrich von Detwang oder dem Hegemeister erzähle …»
«Nein, tu es bitte nicht. Ich mach’s wieder gut. Wir hatten uns gestritten. Er ist ein geiler Bock, aber ich mag nicht mehr. Wie die beiden Kleinen unter unseren Streitereien leiden … ach, das kannst du dir nicht vorstellen.»
«Nimm mir das Eisen ab, dann halt ich den Mund.»
«Das wollte ich sowieso. Aber ich hatte Angst, dass der Stadtrichter hier vorbeikommt und nachschaut.»
«Das kann er immer noch.»
«Dann ist es mir auch egal. Wie sollst du denn hier raus? Die Tür ist dick, das Schloss neu. Durch die Lichtscharte schaffen es nur Mäuse und Eichkätzchen.»
Beate schloss das Fußeisen auf, während Hanna gierig den Milchkrug an die Lippen setzte. Kurz darauf wurde ihr schwindelig und der Hunger war doppelt so stark. Sie griff in ihren Schürzensack und zog ihr Geldsäckelchen hervor. Ein zweites Mal drückte sie der Eisenmeisterin Münzen in die Hand. Ulrich wird schon aushelfen, dachte sie. Wenn er doch bloß endlich kommen würde!
Stiefelscharren ertönte, die Schritte klangen eilig und bestimmt. Hannas Herzschlag beschleunigte sich, doch nicht Ulrich oder Bernward erschienen vor der Tür, sondern Jacob Aufreiter.
«Das habe ich mir so gedacht: die Zelle offen und die Eisen abgenommen. Das ist Hanna Völz, Eisenmeisterin, keine einfache Sünderin. Sie ist gefährlich! Schließt sie sofort wieder an.»
«Jawohl, Herr. Verzeiht mir, es kommt nicht wieder vor.»
Hastig packte Beate Hannas Fuß und legte das Eisen um. Sie verbeugte sich vor Aufreiter und polterte die Treppe hinab. Hanna ballte die Fäuste und kämpfte mit sich,ob sie Aufreiter ins Gesicht oder einfach wegschauen sollte. Dabei hätte sie ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt, so sehr ekelte sie sich vor ihm.
«Schau mich an.»
Widerwillig hob Hanna den Kopf.
«Es wird Euch nicht gelingen», stieß sie hervor.
«Wie aufschlussreich dies klingt, Hanna Völz. Du hast also ein schlechtes Gewissen.»
«Nein.»
Der Stadtrichter hob eine Augenbraue. Langsam sah er sich um, als stünde noch jemand in der Zelle. Ein Schauer lief Hanna über den Rücken. Ich bin völlig wehrlos. Er könnte mich … aber das wäre sein Todesurteil … Ulrich würde nicht zögern …
Sie rutschte ein Stück zurück und drückte sich an die Wand, Aufreiter trat grinsend näher, ging vor ihr in die Hocke. Eindringlich musterte er sie und schüttelte dabei ein paarmal sacht den Kopf. Hanna entging nicht, dass sein Mund wieder ein wenig zitterte, doch ohne sagen zu können, warum, wusste sie, dass Aufreiter ihr nichts tun würde.
So überlegen er tut, dachte sie, irgendwie scheine ich ihm immer noch nicht geheuer zu sein. Nachher glaubt er wirklich, ich sei eine Hexe und habe den bösen Blick.
Gleichzeitig spürte sie, wie unbarmherzig diese Augen waren. Sie machten sie frösteln und schienen bis in ihr Herz zu dringen, um ihr Kraft und Willen zu rauben.
Sein böser Blick! Wie damals an
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