Das Gesicht des Teufels
Fastnacht.
Hanna schloss die Augen. Er wird mich schlagen, dachte sie. Bitte, lieber Gott, betete sie, schicke jemanden zu mir … irgendeine Seele, selbst wenn es nur eine Katze oder eine Ratte ist.
Nichts geschah, Aufreiter erhob sich: «Ich werde dir den Prozess machen, Hanna Völz. Weil du eine Hexe bist.Deine Teufelsgesichte wecken das Böse. Jetzt ist ihm die Schwester meiner Frau, Gott hab sie selig, zum Opfer gefallen. Sie wurde umgebracht, weil du finstere Mächte heraufbeschworen hast.»
«Wer sagt das?»
«Da gibt es einige. Zum Beispiel Frederike von Neustett und ihre Eltern, aber auch der Brauerknecht von der Brauerei Goltz. Sie haben mir deine Blicke beschrieben und das, was sie angerichtet haben. Zwei Frauen hast du schon in deiner Gewalt … und lehrst sie jetzt deine Hexenkünste. Dein größter Fang ist ein Deutscher Ritter, du weißt, wen ich meine …»
«Hört auf mit Euren Lügen!»
«Lügen?», blaffte Aufreiter zurück. «Wo halb Rothenburg deine hexischen Gesichte bezeugen kann?»
«Die von Euch kommen … Ihr habt den bösen Blick! Ihr habt ihn mir Fastnacht letztes Jahr eingepflanzt. Ihr seid ein Hexer, Jacob Aufreiter!»
«Oh … da bekomme ich aber Angst.» Aufreiter lachte kurz und höhnisch auf. Er rief nach der Eisenmeisterin, die sogleich die Treppe hinaufhastete. «Wenn sie flieht, brennst du mit!» Er stieß sie gegen die Wand, angelte dann in seiner Weste nach einem Geldstück und warf es der Frau zu. «Ich will, dass du gut auf sie aufpasst, verstehst du?»
Krachend flog die Zellentür zu. Die Eisenmeisterin zitterte am ganzen Leib und rührte sich nicht vom Fleck. Erst nach einer Weile löste sie sich aus ihrer Erstarrung.
«Himmel, Hanna Völz. Was hast du ihm getan, dass er dich so hasst?»
«Das frage ich mich auch», wisperte Hanna mit tränenerstickter Stimme.
45
Die einen klatschten, die anderen pfiffen, wieder andere grölten Spottverse über die Truppen des Schwäbischen Bundes. Hanna entging nichts, obwohl sie noch immer in ihrer verriegelten Zelle angekettet war – einer Zelle mit Bett, Tisch, zwei Stühlen, einer Kleidertruhe und einem Waschtisch. Auf dem Tisch stand eine Karaffe Wein mit Gläsern, aber auch eine große Schüssel voller Gebäck. Es duftete nach Weihrauch und Lampenöl, vor einem Bildnis der Muttergottes brannte eine armdicke und hüfthohe Kerze.
Sie hörte ohrenbetäubendes Gelächter aufbranden und kurz darauf, wie Magdalena ins Treppenhaus rief: «Die Stadtbüttel werden gerade abgelöst, hörst du?»
«Ja. Aber nun geht doch nach Haus. Ihr seid schon den ganzen Tag hier, und ich hab doch alles!»
«Erst, wenn Ulrich wieder da ist. Ursula bringt Marie jetzt zurück ins Kloster.»
«Danke, ich liebe euch.»
Stürmisches Händeklatschen ertönte, irgendwer schlug eine Trommel.
«Halt aus, Hanna Völz!»
«Die Haufen der Bauern eilen von Sieg zu Sieg. Bald stehen sie vor Rothenburg.»
«Dann wird alles anders. Goldene Zeiten brechen an.»
Es waren immer dieselben Durchhalteparolen, aber Hanna konnte gar nicht genug davon hören. Sie legte die Hände wie einen Trichter um den Mund und rief: «Ihr allein seid die Aufrechten, liebe Leute. Betet für mich, dass dieser Albtraum zu Ende geht.»
Wie gerne hätte sie all die Menschen gesehen, die sich in der Hofstatt versammelt hatten. Zu Dutzenden belagertensie den Turm, denn so etwas hatte es seit Gründung der Stadt noch nicht gegeben: dass nämlich ein Deutscher Ritter seine Bediensteten den Weibersturm hochscheuchte, um es der dort Einsitzenden bequem zu machen. Aber es war nicht verboten, selbst hier wenigstens leidlich gut zu hausen. Vorgeschrieben war allein, dass Hanna angekettet und die Tür ihrer Zelle verriegelt blieb. Niemand konnte ihr tagsüber das Rufen verbieten und erst recht nicht, dass sie gut aß und trank.
Hanna versuchte, sich die Menschenmenge vor dem Weibersturm vorzustellen, und erinnerte sich daran, dass sie vor ein paar Stunden sogar Baburs Gebell gehört hatte. Auch Lienhart war dagewesen.
Warum aber war Ulrich immer noch nicht zurück? Er war ins Rathaus geritten, um mit Stephan von Menzingen und Bürgermeister Kumpf zu sprechen. Aber würden sie sich wirklich auf ihre Seite schlagen? Denn auch wenn viele aus der Stadt sie für unschuldig hielten, es gab eine erhebliche Anzahl Rothenburger, die glaubten, ihre rasche Genesung von dem Gottesurteil weise sie als Hexe aus.
Hufschlag riss sie aus ihren Grübeleien.
«Hanna! Hanna, hörst du
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