Das Gesicht des Teufels
und Gehöften zogen über Wiesen und Felder. Reisige und Landsknechte der siegreichen Fürstentruppen machten sich einen Spaß daraus, Flüchtlinge niederzustechen oder ihnen das letzte Geld abzupressen, Meldereiter galoppierten an Dutzenden rauchender Scheiterhaufen mit verbrannten Fahnen und Ackergerät vorbei.
Allerorten kreisten Krähen und Raben am milchigen, teils zartblauen Himmel. Süßlicher Verwesungsgeruch lag über den in der Sonne gärenden Schlachtfeldern. Plünderer und Leichenfledderer zogen mit Karren voller blutiger Hemden und Hosen durchs Land, und in den Städten schlugen sich die Armen vor den Drehladen der Klöster um jedes Stück Brot.
Jacob Aufreiter übernahm an der Seite des Vogtes Heinrich Trüb mit einer Schar «Aufrechter» die Macht im Rat – mit der Folge, dass jeder einen Passierschein vorweisen musste, wenn er aus der Stadt herauswollte. Bundeshauptmann Georg Truchseß von Waldburg, den alle nur den Bauernjörg nannten, schickte eine Namensliste – woraufhin die Stadtbüttel als Erstes Stephan von Menzingen und Ratsprediger Teuschlin verhafteten. Selbst ins Franziskanerkloster drangen sie ein, doch Hans Schmidt lachte nur: «Ihr wollt meinen Kopf? Den könnt ihr haben. Aber mein Geist und meine Worte, die leben weiter.»
Wo aber hielt sich Doktor ABC versteckt?
Jacob Aufreiter schäumte vor Wut, denn der böse und für ihn vor allem freche ABC war wie vom Erdboden verschluckt. Er ließ die Leute befragen, aber niemand wollte den Brandredner gesehen haben – bis das Gerücht ging, ein adeliges Fräulein habe ihm zur Flucht verholfen.Nachts habe sie ihn in einem Korb die Stadtmauer hinabgelassen, längst sei der Herr Doktor über alle Berge …
Kaum einer schmunzelte über diese List, dafür war die Sorge um Leib und Leben zu groß. Denn Markgraf Kasimir machte keinen Hehl daraus, wie seine Rache aussah. Er schickte den Odenwälder Reichsritter Bernhard von Adelsheim ins Gebiet der Rothenburger Landhege und ließ diesen zusammen mit seinen Mannen und einem halben Dutzend treuer Rothenburger Reisigen plündern und brandschatzen. Am zwanzigsten und einundzwanzigsten Juni traf es Lichtel, Rimbach, Wolkersfelsen, Spielbach und Schwarzenbronn, eine Woche später, am achtundzwanzigsten Juni, rückte der Markgraf selbst mit fünfzehnhundert Mann und etlichen Geschützen in Rothenburg ein.
Und wieder ist es Mittwoch, dachte Hanna. An diesem Wochentag wurde ich das erste Mal verhaftet. Eigentlich müssten die Büttel heute noch kommen.
57
Als Bernward tags darauf spätabends zum Wachsenberg ritt, fühlte er sich an Körper und Seele gleichermaßen leer. In seinen Ohren klang das Geschrei von Frauen und Kindern nach, vor seinem geistigen Auge sah er lichterloh brennende Scheunen und Bauernhäuser, Landsknechte mit langen Spießen und geteerten Strohgarben, einen Greis mit gebrochenen Augen, dem das Blut in den Mundwinkeln vertrocknete. Hühnergackern und Schweinequieken verfolgten ihn genauso wie das Kreischen und Weinen der Mägde, die auf dem Dorfplatz in ein Zelt geprügelt worden waren und stillhalten mussten, wenn ihnen ihr Leben lieb war.
Bis in die Knochen erschöpft, rutschte er vor der Köhlerhütte aus dem Sattel. Zum ersten Mal an diesem Tag stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. Der Himmel über der Lichtung schimmerte mattblau, auf den Wipfeln der Bäume lag der Glanz einer goldenen Sonne. Eine Drossel sang ihr Abendlied, als wäre die Welt gerade frisch geboren worden, nach einer Weile gesellte sich das Gurren einer Taube dazu.
Eine Taube … und das an solch einem Tag. Wie sag ich es ihr? Oder ist es ihr bereits egal?
Bernward stapfte zur Tür und klopfte.
«Wer da?»
«Ich, Bernward.»
Ursula riss die Tür auf und warf sich ihm in die Arme: «O Gott, wir waren vor Angst wie gelähmt, als wir ein Pferd hörten … Aber jetzt ist alles gut.»
«Was ist passiert?»
Stumm zeigte Ursula zur Feuerstelle. Bernward riss Mund und Augen auf, alles hatte er erwartet, nur das nicht. Zwei Männer in völlig verdreckter und zerrissener Kleidung saßen in der Hütte, Gesicht und Hände rußverschmiert. Sie hielten einen Becher Bier in der Hand, einer von ihnen lächelte.
«Erkennt Ihr mich noch, Hegemeister?», fragte der eine Mann müde. Bernward nickte. Vor ihm saß Hannas Bruder Arndt, der Mann daneben war Jobst Gessler, der Herren-Müller. Sie sind beide Männer der ersten Stunde, durchfuhr es Bernward. Dass sie noch leben, ist ein Wunder. Ob nach ihnen
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