Das Gesicht des Teufels
würde diese für sie und die Stadt falsche Stille langsam und unerbittlich von den knirschenden Eisenrädern zermahlen.
Und ihr Gefühl trog sie nicht.
Denn plötzlich wehte vom Marktplatz ein Trommelwirbel herüber, dem einen Atemhauch später das dumpfe Raunen aus Hunderten von Kehlen folgte.
«Gott sei seiner Seele gnädig.»
Sie stimmte in den Chor ihrer Mitgefangenen ein. Jeder wusste, was gerade geschehen war.
Stumm tauschte Hanna mit den Gefangenen Blicke. Sie reichten von Fassungslosigkeit bis Abscheu, allein Valentin und Pfarrer Stöcklein, die beiden Neusitzer, stierten ausdruckslos vor sich hin, als ginge sie schon alles nichts mehr an.
Beate, die Eisenmeisterin, wartete vor dem Weibersturm bereits auf sie. Hanna sah sie andeutungsweise nicken, das Gesicht aber wirkte wie erloschen. Allein die kleine Jenne, die sie an der Hand hielt, strahlte übers ganze Gesicht.
«Sei nicht böse, wenn wir in der Zwischenzeit alles wieder verkauft haben.» Sie schloss die Zellentür auf,während Hanna von einem der Stadtsoldaten die Fesseln abgenommen wurden. Bis auf ein frisches Strohlager, einen neuen Latrineneimer und einen Wasserkrug war die Zelle wieder leer. «Wenn du essen möchtest, gib mir einfach wieder Geld.»
Hanna zog ihr Geldsäckchen hervor und drückte Beate vierundzwanzig Kreuzer in die Hand, den Wochenlohn eines Tagelöhners. Beate wurde rot. Sie dankte, dann glitt ihr Blick zum Fußeisen. Unbeweglich starrte sie es an.
Hanna verstand. Seufzend ließ sie sich auf ihr Strohlager nieder. Mit abgewandtem Kopf schloss die Eisenmeisterin sie ins Fußeisen.
«Es geht eben nicht anders», sagte Hanna leise. «Ist ja nicht deine Schuld.»
Die Eisenmeisterin nickte. «Jetzt, auf dem Markt …», sie stockte, sprach schließlich weiter, «da wärst du auch nicht glücklicher. Der Markgraf hat alle Rothenburger Bürger auf den Marktplatz befohlen, wo sie seinen Soldaten ihre Waffen aushändigen müssen. Anschließend, hieß es gestern, würde er eine Strafrede verlesen. Die Bürger sollen einen neuen Eid auf Kaiser und Obrigkeit schwören. Danach soll einer von des Markgrafen Getreuen die Namen aller Aufwiegler verlesen.»
Denen der Scharfrichter jetzt den Kopf abschlägt, ergänzte Hanna im Stillen. Wie viel es wohl sein werden? Sie dachte an ihre Vision. Schemenhaft erinnerte sie sich an die Bilder der Knienden, glaubte den Scharfrichter zu sehen, wie er mit dem breiten Richtschwert ausholte. Kalt lief es ihr den Rücken herunter. Sie sah der Eisenmeisterin nach, lauschte auf das Klirren der Schlüssel und die leiser werdenden Schritte. Heute ist erst der Anfang, der erste Tag, durchfuhr es Hanna. Das Blutgericht wird Tage dauern … und dann, wenn es vorbei ist, wird Jacob Aufreiter sich an mich erinnern.
59
Jeden Tag erstattete die Eisenmeisterin ihr Bericht. Die Namensliste der Enthaupteten wurde immer länger, zählte schließlich über drei Dutzend. Hanna versuchte, sich darauf vorzubereiten, dass Beate eines Tages auch Arndts Namen nannte, doch als der Markgraf Rothenburg nach zwei Wochen wieder verließ, schienen Arndt und Valentin noch am Leben zu sein.
Doch weder Ulrich noch Bernward erfuhren, wo sie festgehalten wurden.
Hanna aber konnte es sich denken. Sie erinnerte sich an ihre Vision, und so betete sie für sie, sooft sie konnte.
Beate trug ihr die immer neuen Forderungen des Markgrafen zu. So sollte nach der Köpforgie jedes Rothenburger Haus sieben Gulden Brandschatzungsgeld entrichten, außerdem hätte die Stadt einhundert Zentner Pulver an den Schwäbischen Bund zu liefern. «Und Häuser, die Sammelplätze der Aufrührer gewesen waren, sollen niedergerissen werden. Der Markgraf will, dass sie zum Zeichen ewiger Verfluchung mit Salz bestreut werden.»
Hanna wollte schließlich nichts mehr hören. Sie sehnte sich nach Marie, aber ihre Schwester durfte sie genauso wenig besuchen wie Ulrich.
So wuchs ihre Einsamkeit von Tag zu Tag. Ihr blieben nur ihre Träume und dann und wann die kurzen Gespräche mit der Eisenmeisterin. Deren Angst vor dem Stadtrichter war gewaltig. Beate blieb wortkarg, obwohl Hanna spürte, dass sie ihr nur allzu gern ihr Herz ausgeschüttet hätte. Doch nach drei langen Wochen war auch die Eisenmeisterin des einsilbigen Redens müde: «Jetzt, wo die Landsknechte fortziehen, will er wieder zu denHuren! Fremde Frauen kosten, solange sie noch in der Stadt sind – österreichische, italienische und vor allem die Mohrin, über die hier alle hinter
Weitere Kostenlose Bücher