Das Gesicht des Teufels
leuchten.
Für einen Augenblick wirkte Ulrich wie verzaubert.
«Hanna?», fragte er ungläubig, als stünde nicht sie, sondern ein Engel vor ihm.
Mit leichtem Schwung warf sie sich ihm in die Arme, und sie tauschten lange leidenschaftliche Küsse. Als sie sich wieder voneinander lösten, lächelten sie beide so glücklich, als hätten sie sich das erste Mal geküsst.
«Dass Gustav nicht hier ist, hat damit zu tun, dass er sich auf die Seite Frederikes geschlagen hat.» Hanna sprach leise, aber mit fester Stimme. «Deswegen ist er nicht da. Er traut sich nicht mehr zurück.»
«Ich kann es nicht glauben! Wie konnte er so treulos sein? Ich verstehe es nicht. Er hat es immer gut bei uns gehabt.»
«Er hat sich eben eine andere Herrin gewünscht. Eine, die über seinem Stand ist, zu der er aufschauen kann. Bei mir kann er das nicht. Dies lässt sein Stolz nicht zu.»
«Ich werde ihm die Demut schon noch einprügeln …»
«Vielleicht bereut er es ja schon.»
Hanna fasste Ulrich bei den Händen, zog ihn sanft ansich. «Ich werde hierbleiben. Zu fliehen ist sinnlos und würde von Aufreiter nur gegen mich ausgelegt werden. Es wäre wie ein Schuldeingeständnis.»
«Ich werde kämpfen, Hanna. Diesmal sehe ich nicht zu.»
«Nein.» Hanna küsste seine Hände. «Du musst den Ritter vergessen. Sprich lieber mit Agathe. Wenn sie sich ohne Vorbehalte zu mir bekennt, kann Aufreiter nicht viel ausrichten. Rede mit allen Nonnen. Und besuche Frederike. Sie muss doch noch so etwas wie ein Gewissen haben …»
«Ich soll … Niemals. Diese Schlange, die Hölle soll sie verschlingen.»
«Das wünscht sich Jacob Aufreiter für mich.»
«Aber warum? Was hast du ihm getan?»
Hanna holte tief Luft. Sie erzählte Ulrich von dem Verdacht des Gärtnerburschen, dass Aufreiter einen bösen Geist in ihr sehe, und erinnerte Ulrich noch einmal an all ihre Begegnungen. «Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, ihm geht es gar nicht darum, mich als Hexe zu überführen. Das ist nur ein Vorwand. Aber er will mich los sein. Seit meinem Gesicht in Steinbach ist er wie besessen von diesem Gedanken.»
«Aufreiters Schwägerin ist verblutet», warf Ulrich nachdenklich ein. «Die Familie damit erloschen. Er erbt jetzt sämtliche Besitzungen seiner einstigen Schwiegereltern. Der Verdacht, dass er in beiden Fällen nachgeholfen hat, stellt sich natürlich. Andererseits frage ich mich: Was hat er davon? Noch mehr Geld, noch mehr Ansehen? Will er Bürgermeister werden? Sich einen Adelstitel kaufen? Ich weiß es nicht.»
«Habgier ist immer ein Grund. Und in der Tiefe meiner Seele weiß ich: Meine Vision in Steinbach hat mit dem Tod von Aufreiters Schwägerin Josepha zu tun gehabt. Er war es, der ihr Gift gegeben hat.» Hanna setzte sich auf dieBettkante, Ulrich neben sie. Er zog sie an sich, um sie zu trösten, Hanna aber fuhr mit hängendem Kopf fort: «Es waren seine Augen damals. Sie sind schuld an meinen Gesichten. Magdalena hat mich darauf gebracht. Es ist wahr, Ulrich.»
Ulrich wiegte sie sacht hin und her. Wieder spürte er den Anflug seines schlechten Gewissens. Denn sosehr er Hanna liebte, bislang hatte er es von sich gewiesen, sich eingehender mit den möglichen Ursachen von Hannas Gesichten zu beschäftigen. Bislang habe ich immer gehofft, dass es eines Tages damit vorbei ist, dachte er. Anfangs habe ich ihr sogar nicht einmal alles geglaubt. Jetzt ist es zu spät. Warum bloß? Welcher Fluch lastet auf ihr?
Oder auf mir?
56
In den darauffolgenden Tagen überstürzten sich die Nachrichten und Ereignisse. Als es keine Zweifel mehr gab, dass Markgraf Kasimir in Kitzingen wirklich ein Massaker veranstaltet hatte, und die Nachricht Rothenburg erreichte, Bauernführer Florian Geyer sei im Gramschatzer Wald ermordet worden, hatten es auch die unverbesserlichsten Optimisten wie Hans Schmidt begriffen: Die Aufstände der Bauern und Häcker waren gescheitert.
Eine Auswanderungswelle erfasste Rothenburg, selbst Patrizier wie Altbürgermeister Ehrenfried Kumpf flohen aus der Stadt. Denn ob in Bayern oder Württemberg, ob im Fränkischen oder Pfälzischen: Die Scharfrichter kamen mit dem Schärfen der Richtschwerter kaum noch nach. Die Köpfe der Anführer rollten einer nach dem anderen, und diejenigen, die verstümmelt und gebrandmarktwurden, konnte man schon bald nicht mehr zählen. Nirgends gab es eine Bauernfamilie, die nicht wenigstens ein Opfer beklagte. Rauchschwaden von in Schutt und Asche gelegten Dörfern
Weitere Kostenlose Bücher