Das Gesicht des Teufels
die liebste und beste Schwester auf der Welt. Für ihre Gesichte kann sie nichts. Und Ritter Ulrich liebt sie wirklich.»
«Ja, aber stimmt das mit dem Blut in der Schmiedgasse? Was hat sie denn nun wirklich gesagt?»
«Dass Valentin aus Neusitz gepeitscht und anderen der Kopf abgeschlagen wird.»
«Ja, wem denn?»
«Dem Ratsprediger und dem Mönch.»
«Dem Teuschlin und Hans Schmidt?»
«Ja.» Marie wurde vor Anspannung ganz schwindelig. Es war gar nicht einfach, sich an alles zu erinnern. Hoffentlich bekam sie nichts durcheinander. Das würde alles nur schlimmer machen. Wie entsetzt sie alle anschauten! «Dann sind da aber noch andere! Und die Glocken von St. Jacob werden läuten.»
«Wer denn, um Himmels willen?»
«Das weiß ich nicht mehr. Aber sie hat auch eine Frau gesehen, die vergiftet ist. Das weiß der Stadtrichter. Und er ist dabei und hilft ihr nicht. Deswegen verfolgt er Hanna ja auch. Er will sie zur Hexe machen, weil er Angst vor ihr hat. Zusätzlich freut er sich, dass der Scharfrichter den anderen die Köpfe abschlägt und die Augen aussticht.»
«Was redest du denn da?»
«Jetzt lügst du doch.»
«Nein, das ist wahr. Ich war dabei, als die Frau gefunden wurde. Die Schwägerin vom Aufreiter. Sie sollte kein Kind bekommen. Damit er alles erbt.»
Gelächter breitete sich aus. «Sie ist doch viel zu klein. Sie spinnt sich was zusammen.»
Marie schossen Tränen in die Augen. Hilfesuchend schaute sie zu Lienhart, der aber war nach wie vor damit beschäftigt, Babur ruhig zu halten. Da sprang sie auf und rief wütend: «Ihr seid doch alle nur blutgierig.»
«Und du nicht ganz richtig im Kopf!»
Ärgerlich liefen die Menschen auseinander. Marie bekam mit, wie sie sich gegenseitig beschimpften, ihr überhaupt zugehört zu haben.
Doch wo war Gustav auf einmal hin? Sie schaute sich um, doch Gustav war nirgends zu sehen.
Ich werde Ulrich erzählen, wie hinterhältig Gustav ist. Immerhin bin ich sein Mantelkind, und er ist nur einwiderlicher Diener. Gott zeichnet die, die böse sind. Und Gustav ist krumm wie ein Haken. Soll Ulrich ihn bloß davonjagen, vorher aber gehört er tüchtig verhauen.
Plötzlich beschlich sie eine böse Ahnung. Ohne sich um Babur und ihre Freunde zu kümmern, rannte sie durch die Jacobsgasse und bog links in die Georgengasse ab. Sie hatte sich nicht getäuscht. Auf der Kreuzung zur Heugasse entdeckte sie Gustav: Sie sah, wie er durch das Tor des großen, hohen Eckhauses schlüpfte. Ein Stadtbüttel bewachte dort den Eingang.
Also wohnte jemand sehr Wichtiges hier.
Marie wartete, bis sie wieder zu Atem kam. «Wer wohnt in diesem Haus?»
«Na, wer schon. Unser Stadtrichter, der Jacob Aufreiter.»
55
Als Gerüchte die Runde machten, Markgraf Kasimir lasse von einem Scharfrichter, der Meister Augustin heiße, Kitzinger Bürgern die Augen ausstechen, schlug die Stimmung wieder zugunsten Hannas um.
Denn hatte sie so etwas nicht auch für Rothenburg prophezeit? Was war, wenn sie wieder genauso recht behielt wie im Fall des Sturms auf die Kobolzeller Kirche?
Ulrich konnte die Angst spüren, als er zur Ratsversammlung ritt. Selbst die Putzflächen der Gefache schienen sich zu krümmen. Und das Ständerwerk schien das Ochsenblut, mit dem es gestrichen worden war, wieder auszuschwitzen.
«Achtung, Unrat.» Ein Fenster flog auf, und der Inhalt eines Nachttopfs platschte auf die Gasse.
Raban wieherte, Ulrich klopfte ihm den Hals. Er sollte es noch zweimal tun müssen.
So was nennt man Schiss haben …
Er betrachtete die Menschenschlangen vor der Marien- und Löwenapotheke. Die Rothenburger deckten sich mit Bilsenkraut und Theriak ein, wer Geld hatte, erstand ein neues Wunderschmerzmittel mit dem Namen Laudanum nach der Rezeptur eines gewissen Paracelsus.
Die Armen werden sich auf den Branntwein stürzen.
Bitte, Hanna, behalte einmal nicht recht!
Er überließ Raban einem Pferdeknecht und betrat das Rathaus. Kaum eine Stunde später wurde er Zeuge, wie die Ratsversammlung beschloss, keinen Widerstand zu leisten, sollten die Truppen des Schwäbischen Bundes vor die Tore der Stadt ziehen.
Ulrich begriff sofort: Rothenburg hatte sich unterworfen – wie zuvor Würzburg, Kitzingen, Mergentheim. Erschüttert hörte er zu, wie der in die Stadt zurückgekehrte Vogt Heinrich Trüb, der bereits Anfang Mai mit seiner Familie aus Rothenburg geflüchtet war, berichtete, dass sich nach den Niederlagen von Königshofen und Ingolstadt neuntausend Aufständische in Würzburg
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