Das Gesicht des Teufels
Seite, das Schnitzspielzeug schleuderteaus seiner Kiepe heraus. Sofort entstand großes Geschrei. Kinder umringten den Mann und stürzten sich auf die fein gearbeiteten Landsknechte und Ritter mit ihren Waffen wie Lanzen, Hellebarden, Morgensterne. Ulrich sah noch, wie einige von ihnen mit geschlossener Faust davonrannten und der Nebel sie verschluckte, da rief schon jemand: «Er ist tot.»
«Ja, bei Gott, wie klapprig er auch aussieht!» Die Magd, die dies sagte, klang zornig. Sie stemmte die Arme in die Hüften und schaute um sich. «Verreckt am Hunger! So geht’s! Erst er, dann wir Kleinen in der Stadt. Aber nie die Herren vom Adel und vom Patriziat. Aber so war’s ja schon immer.» Sie schaute zu Ulrich hoch, der just der einzige Mann von Stand war, der in der Klostergasse zu Pferd war. Ulrich sah in die wütenden und ausgezehrten Gesichter von Kindern, Tagelöhnern, Marktbeschickern und Handwerksburschen. «Und Ihr, edler Ritter?», rief ihn die Magd an, «schon mal nichts zu beißen gehabt? Oder braucht Ihr keine Zähne mehr, weil Euch Eure Diener das Wildbret löffelweich auftischen?»
Hämisches Gelächter machte die Runde, Pfiffe erklangen. Ein Junge rannte nach vorn, spuckte aus, andere taten es ihm nach. Eine Frauenstimme aus der Menge kreischte: «Essen, trinken, schlafen gehen? Nein: fressen, saufen, ficken, das ist das, was Deutschherrn blicken.»
Sofort machte der Vers die Runde. Ulrich wusste nicht, was er tun sollte. Sag ich etwas, werde ich sowieso niedergebrüllt, dachte er. Sag ich nichts, reißen sie mich womöglich noch aus dem Sattel.
Plötzlich hatte er eine Idee. Er stieg vom Pferd und trat entschlossen auf den toten Bauern zu. Eine Gasse bildete sich, mit einem Mal war es still. Neugierig sahen die Menschen zu, wie Ulrich Stück für Stück das Spielzeug einsammelte. Er stellte die Kiepe aufrecht hin, schaute umsich und zeigte auf einen Jungen: «Du, komm, such dir zwei Sachen aus.»
Das ließ dieser sich nicht zweimal sagen. Ulrich winkte den nächsten Jungen heran, auch er durfte sich zwei Figuren aussuchen. So ging es fort, bis die Kiepe leer war.
«Ihr habt doch Mitleid mit diesem armen Kerl, oder?», rief Ulrich in die Menge. «Eben. Dann seid ihr gewiss auch ehrlich.» Er zog sein Geldsäckel auf und entnahm ihm einen Reichstaler, den Monatslohn eines Tagelöhners. Er warf ihn der Magd hin und fuhr fort: «Bringt dieses Geld seiner Frau oder seinen Kindern. Und sagt ihnen: Ulrich von Detwang wird ein würdiges Begräbnis zahlen.»
Niemand sagte ein Wort. Ulrich schwang sich auf sein Pferd und ritt weiter. Angespannt hielt er den Atem an. Da hörte er, wie ihm jemand hinterhergerannt kam. Ein Mädchen stellte sich ihm in den Weg.
«Ritter?»
«Ja, was möchtest du?», fragte Ulrich freundlich.
«Euch etwas geben.»
«Und was?»
Das Mädchen streckte ihm eine der Schnitzfiguren hin, die es sich gerade erst ausgesucht hatte.
«Ihr seid ein guter Ritter. Darum.»
«Danke.»
Das Mädchen verschwand in die nächste Gasse, Ulrich lächelte und betrachtete sein Geschenk. Der Spielzeugritter kniete. Er trug seinen Topfhelm unter dem Arm und schaute mit ernstem und hoheitsvollem Gesicht zu jemandem auf.
Ulrich seufzte. Wie passend, dachte er. Da war ich gerade bei «ihr» und fürwahr: Ich habe «sie» genau so angeschaut wie dieser Ritter. Hätte ich nichts von Marie erzählt, wir hätten stumm dagesessen und allein unsereBlicke sprechen lassen, uns damit umarmt, geküsst und vielleicht noch mehr.
Langsam ritt er weiter und überließ sich wieder seinen glückseligen Gefühlen, die ihn, seitdem er das Spital verlassen hatte, verzauberten. Sein Kopf war wie taub, alles, was er wahrnahm, erreichte ihn langsamer, unschärfer, gedämpfter. Dass er im Sattel saß, begann er bereits wieder zu vergessen, sein Verstand war wie in Watte gepackt.
Er sah Hanna vor sich, wie sie schließlich die Augen schloss und ihm lächelnd zuhörte, obwohl er ihr berichten musste, dass Marie nichts anderes tue, als stumm aus dem Fenster zu schauen. Sie antworte auf keinerlei Ansprache und nehme nichts als Brot und Wasser zu sich. Agathe, seine Schwester, die Priorin des Klosters, zeige sich zunehmend besorgt.
Aber was ist, wenn Babur gar nicht tot ist, hatte Ulrich plötzlich eine Eingebung. Ich werde den Abdecker fragen. Wenn er sich an keinen toten Hund erinnert … Marie könnte dann zumindest wieder hoffen und darüber gesund werden.
Am Georgsbrunnen ließ er Mahut saufen. Nebelschwaden
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