Das Gesicht des Teufels
begann zu weinen. «Ihr würdet selbst aus einer Heiligen Blut melken», begehrte sie keuchend auf. «Und wenn es rinnt … selbst aus dem Kreuz vom heiligen Blut, wenn es strömt und der Kristall Blut weint, Christi Blut … heilige Madonna, hilf mir.»
«Hanna, deine Seele ringt um Reinheit», rief der Bader erfreut. «Schnell, wir sollten auch den Spitalpfarrer holen. Dass er hört, wie du kämpfst!»
Einer der Gehilfen stürzte aus der Tür und eilte in die Sakristei. Hanna aber wurde zusehends schwächer.
«Verbindet mich», flüsterte sie. «Bitte. Ich kann nicht mehr.»
Der Bader schüttelte den Kopf. Er kniete sich vor sie hin und hielt die halbvolle Blutwanne, derweil der Spitalkaplan vor dem Herrgottswinkel kniete. Hanna hörte,wie er die Heilige Jungfrau anflehte, ihr beizustehen, und dann das Ave-Maria betete. Sie spürte einen zunehmenden Druck auf den Ohren, gleichzeitig wurde ihr übel. Sie schloss die Augen, kurz darauf nahm sie wahr, wie der Spitalkaplan sie mit geweihtem Wasser bespritzte.
Als der Spitalpfarrer kam, drohte sie, vom Stuhl zu kippen. Er legte ihr die Hand auf den Kopf und sprach laut das Vaterunser. Dann sagte er feierlich: «Und jetzt ist es genug, Hanna. Du warst tapfer. Verbrennen wir das böse Blut.»
Der Bader legte einen straffen Verband, Hanna aber war so übel, dass sie zu würgen begann. Sie wünschte sich, in Ohnmacht zu fallen, aber stattdessen hielt ihr einer der Badergehilfen ein Riechfläschchen unter die Nase. Der stechende Kampfergeruch milderte ihre Übelkeit, wirkte sogar ein wenig kräftigend. Trotzdem konnte sie die Tränen nicht länger zurückhalten. Die Gesichter verschwammen, noch nie hatte sie sich derart schwach und ausgeliefert gefühlt.
Pfarrer und Spitalkaplan hakten sie unter die Arme und zogen sie hoch. Hanna wurde schwarz vor Augen, die Beine gaben ihr nach.
«Nicht auf die Pritsche», bettelte sie.
«Nein, meine Tochter», sagte der Spitalkaplan leise. «Dem himmlischen Lohn folgt der irdische. Du kommst in den Krankensaal und erhältst sieben Tage lang Stärkungskost. Anschließend lassen wir dich noch einmal zur Ader. Dann wird kein Tropfen böses Blut mehr in dir sein. Danke Gott und lobe ihn.»
Hanna hatte keine Kraft mehr, etwas zu erwidern. Eins aber glaubte sie verstanden zu haben: Spitalkaplan Ott litt unter einer Art religiösem Wahn. Das nächste Mal würde er sie noch länger zur Ader lassen. Er würde sie ausbluten lassen und dabei in Verzückung geraten.
Ich bin dem Tod geweiht, dachte sie entsetzt. Kraftlos ließ sie sich fallen und verlor für einen Moment die Besinnung. Das Gefühl, die Erde wolle sie an sich binden, wurde immer stärker.
Ulrich, hilf mir, flehte sie stumm. Rette mich!
«Te Deum laudamus …» Spitalkaplan Ott begann zu singen, Glocken läuteten. Hanna spürte noch, wie sie auf eine Trage gelegt wurde, dann wurde es schwarz um sie.
12
Als sie anderntags erwachte, sah sie Valentin an ihrem Bett sitzen. Er döste mit geschlossenen Augen, der Kopf war ihm auf die Brust gesunken.
Er ist wirklich ein anständiger Mann, dachte sie nicht ohne Anteilnahme. Aber wie er jetzt aussieht … welche Frau kann das ertragen: ein Gesicht, das im Schlaf aussieht, als verwandle es sich endgültig in ein Schaf.
Sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen.
Wie wird er sich fühlen, wenn ich ihm reinen Wein einschenke?, fragte sie sich, und sogleich lief ihr ein Schauer über den Rücken. Wenn er verzweifelt fragt, warum ich ihn nicht will, was er falsch macht und so weiter, was antworte ich? Ich kann ihm doch nicht die Wahrheit sagen.
Sie schaute in die Gewölbedecke des Krankensaals und lauschte auf das Schnarchen und Geröchel der anderen Patienten. Doch schon bald schloss sie wieder die Augen, so schwach fühlte sie sich. Sie versuchte, eine Faust zu machen, hatte aber keine Kraft. Auch die Beine anzuziehen war viel zu anstrengend.
Ich hätte auch gar nicht mehr aufwachen können, dachte sie. Das hört man immer wieder, wenn jemandzur Ader gelassen worden ist. Aber wär’s eigentlich so schlimm?
Ein mönchisch aussehender Spitalbruder trat an ihr Bett. Sie spürte seinen prüfenden Blick und schlug die Augen auf.
«Guten Morgen», begrüßte er sie freundlich. «Weißbrot, Ei, Brühe mit Rahm und warmes Dünnbier. Oder ist das zu viel? Nicht, dass dein Magen es vielleicht nicht bei sich behalten kann.»
Hanna glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. Nie zuvor war ihr ein so reichhaltiges Frühstück
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