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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
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zogen über den Markt, aus der Hafengasse wehte ein eisiger Wind. Ulrich beobachtete die wenigen Menschen, die mit hochgezogenen Schultern durch die Budenreihen huschten. Jeder wollte seine Besorgungen schnell erledigt haben, kaum einer wechselte mit den Händlern ein Wort. Arm dran waren vor allem die budenlosen Marktbeschicker, die hinter ihren Tischen auf und ab stapften. Gewinner des Tages waren die Suppenverkäufer. Ihre Kessel hingen an einem Dreibein über einer kleinen Feuerstelle, der Geruch verbrannten Holzes mischte sich mit den Düften von Bohnenkraut, Speck und gerösteten Kastanien, aber auch Fisch, Zwiebeln, Knoblauch und würzigem Sellerie.
    Man sollte sich jetzt wirklich etwas Gutes tun, dachte Ulrich, band Mahut an und schritt auf eine Suppenverkäuferin zu.
    «Sie ist auch heiß, ja?», fragte er.
    «Gewiss, edler Herr. Sie kommt frisch aus dem Kessel.» Die Frau zog ihre Handschuhe aus, griff nach einer Holzschüssel und füllte sie mit einer Kelle. «Gerste und Weizen, dazu dicke Bohnen, ordentlich Sellerie und Salz und abgeschmeckt mit Rahm.»
    «Sie ist gut.»
    Bedächtig löffelte Ulrich die heiße Suppe, da kam aus dem Rathaus ein vornehm gekleideter Mann mit schwarzem Gelehrtenhut geradewegs auf ihn zu.
    «Auch Appetit bekommen?», fragte Ulrich.
    «Geht nicht anders. Es ist saukalt bei euch in den Ratsstuben. Man bekommt das Reißen   … Wie eure Großkopfeten das aushalten, ist mir ein Rätsel. Oder aber ich bin nicht genug abgehärtet.»
    «Ihr seid nicht von hier?»
    «Doch, seit vorgestern.» Die wachen Augen des Mannes huschten über Ulrich hinweg, der Mund in dem schmalen, spitz zulaufenden Gesicht kräuselte sich spöttisch. «Entschuldigt, Ritter. Man nennt mich auch Doktor ABC, Andreas Bodenstein aus Carlstadt.»
    «Der Carlstadt aus Wittenberg?»
    «Wozu es leugnen?»
    Dr.   Carlstadt löffelte seine Suppe. Er reckte den Kopf und schaute an Ulrich vorbei, als wolle er sichergehen, niemanden zu verpassen. Ulrich wusste nicht allzu viel von diesem Gelehrten, aber das Wenige war aufregend genug. Dr.   Carlstadt war der Doktorvater Martin Luthers, mit dem er sich jedoch überworfen hatte. Es ging das Gerücht, Luther habe Kurfürst Friedrich im August gedrängt, seinen Lehrer aus Wittenberg auszuweisen. Angeblichsollte Dr.   Carlstadt seitdem im Bauernrock herumlaufen.
    Tut er aber nicht, dachte Ulrich. Vielleicht ist er ja gar nicht solch ein leidenschaftlicher Reformator, wie ihm nachsagt wird? Machen wir doch einmal einen Versuch.
    «Deutsche Ritter wie ich sind ja nun papsttreu», begann er vorsichtig. «Wie die Schrift auszulegen ist, überlassen wir dem Heiligen Vater. Ihr dagegen sagt   …»
    «…   dass kein Mensch, und sei es auch der Papst, allein von sich behaupten kann und darf, seine Auslegung der Heiligen Schrift sei Gesetz. Das ist Anmaßung und gerade so, als ob man dem Teufel zugestehen würde, nur er sei für alles Böse in der Welt verantwortlich.» Dr.   Carlstadt funkelte Ulrich an, der ein Stück zurückgetreten war. Sein Ton war trotz des ungemütlichen Wetters leidenschaftlich, und offensichtlich fand er es völlig natürlich, im Beisein einer Suppenköchin zu theologisieren. «Und dass Ihr gleich wisst, mit wem Ihr es zu tun habt, Ritter: Zuwider ist mir nicht nur die anmaßende Autorität des Papstes, sondern auch das fromme Gewäsch um Reliquien. Zum Henker mit diesem Knochenmüll in unseren Kirchen, den Kreuzesnägeln und angeblichen Blutstropfen Christi! Fort mit dem bleichen Geschädel irgendwelcher Heiliger und all diesen lächerlichen Märtyrerknöchelchen! Weg mit den Bildern, die nichts anderes feiern als Tand und Ruinen, Ströme von Blut und grinsende Teufel!»
    Seine Tiraden ließen ein paar Marktbesucher stehen bleiben. Doch dies schien Dr.   Carlstadt keineswegs zu stören, sondern eher zu freuen. Ulrich wiederum war in ganz anders gearteter Stimmung, als dass ihn diese Leidenschaft fürs Theologische in irgendeiner Form berührte. Ihn amüsierte die Hitzköpfigkeit dieses Mannes, dessen Abneigung gegen alle Abgötterei in seinen Augen krankhafte Züge trug.
    «Ihr habt wohl, Dr.   Carlstadt, auch Angst vor dem Dunkeln, wie?», neckte er ihn.
    Die Umstehenden lachten, aber auf eine solche Bemerkung schien der Herr Doktor ABC gerade gewartet zu haben. «Angst?», rief er pathetisch in die Runde. «Ja, die habe ich! Fromm und voller Ehrerbietung all diesen mystischen Götzenwerken gegenüber bin ich aufgewachsen. Ich erinnere mich, dass

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