Das Gesicht des Teufels
schloss die Augen.
Schwer und heiß spürte sie Ulrichs Arm vor ihrem Bauch. Eisern hielt er sie fest. Wie ein Ritter seine Beute, dachte sie stolz und schloss die Augen, um sich ihren Vorstellungen hinzugeben.
Es war wie in einem schönen Traum. Nie mehr, wünschte Hanna sich, dürfte dieser Ritt aufhören, diese Stunde, die Ulrich und sie eng aneinandergeschmiegt auf Mahuts Rücken verbrachten. Die laue Luft hüllte sie ein wie schmeichelnder Stoff, und das klirrende Zaumzeug brachte sie zum Lächeln. Doch war es der Wind, der plötzlich so schrill pfiff? Waren es wirklich Mahuts Hufe, die so dumpf und monoton auf den Boden stießen?
Hanna öffnete die Augen.
Stumm und stolz ragten die Wahrzeichen der Stadt in den hellblauen Himmel, allen voran die gebieterischen Türme der St. Jacobs Kirche. Ihnen am nächsten lag das Klingentor mit dem Turm der Schäferkirche, von dem man nicht nur ins Taubertal, sondern auch über die weiten, sanft ansteigenden Wiesenkoppeln und Äcker schauen konnte. Einige wenige Feldstreifen waren bereits umgepflügt, doch statt einzelner Feldarbeiter, die den Pflug in die Erde drückten und hinter Ochsen oder Pferden herschritten, beherrschte auf einmal ein bunter Haufen marschierender Bauern das Bild.
Ulrich zügelte Mahut, Hanna seufzte enttäuscht auf. Es kam ihr vor, als würde sie aus dem Paradies geworfen. Zu schön hatte sich dieses herrlich beseligende und selbstvergessene Traben angefühlt.
«Schau dir das an!» Ulrich klang bestürzt. «Ohrenburger Bauern. Sie kommen als bis an die Zähne bewaffnete Reisige!» Hanna sah es selbst: An die drei Dutzend mit Armbrüsten, Morgensternen, Hellebarden, Lanzen und anderem Kriegsgerät bewaffnete Bauern bewegten sich auf das Klingentor zu. Vornan marschierten der Trommler und der Pfeifer, hinter ihnen schwang einer eine große silberrote Fahne mit einem Reiherkopf, ein anderer eine spitz zugeschnittene Fahne mit einem schlangengleich auslaufenden Bundschuh-Senkel.
«Himmel, was haben sie vor?»
Hanna antwortete nicht.
Es geht los, dachte sie. Der Winter ist vorbei, jetzt beginnen die Aufstände. Schon hatte sie das Lied von Hannes, Jobst Gesslers Knecht, im Ohr:
Wir sind die armen Haufen und wolln mit Pfaff und Adel raufen. Heija oho. Spieß voran, rauf und dran! Los, aufs Ziegeldach den roten Hahn. Heija oho, heija oho.
Spieß voran, rauf und dran! Spieß voran, rauf und dran,hörte Hanna die Bauern skandieren. Herausfordernd und siegesgewiss reckten sie ihre Waffen in die Luft.
Ulrich hieb Mahut die Stiefel in die Flanken. Wiehernd warf sein Hengst den Kopf zurück und galoppierte los. Fahnenträger, Pfeifer und Trommler marschierten bereits durchs Tor.
«Ist das nicht gefährlich?»
«Möglich, aber Mahut wird uns schon nicht im Stich lassen. Er ist schnell.»
Ulrich hob den Arm und winkte, doch von den Torwächtern war keiner mehr zu sehen. Erst als sie durchs Tor geritten waren, sahen sie, warum: Stöhnend hockten die beiden Wächter auf dem Pflaster und tasteten sich die zerschlagenen, staubigen Gesichter ab. Ratlos stand der Türmer vom Klingentor mit einem Schwamm vor ihnen und schaute dem laut singenden Bauernhaufen nach, von denen die Letzten gerade in die Judengasse einbogen.
«Auf dem Marktplatz sind sie auch schon!» Der Türmer schlug sich die Faust in die hohle Hand. «Sie wollen vor den Rat.»
«Danke.»
Sie ritten weiter, doch schon auf Höhe der Klosterweih wurde Mahut von einer Menschenmenge eingekeilt. Die einen frohlockten, andere pfiffen. Peitschen knallten durch die Luft, Knüppel wurden hochgeworfen und wieder aufgefangen. Junge Burschen fassten sich an den Schultern und tanzten zu einem Spottvers über die Deutschen Ritter und das Rothenburger Patriziat: Deutschherrn pimpern, Räte stümpern, alle saufen, keiner tut laufen.
Ulrich ließ sich von den hämischen Blicken nicht aus der Ruhe bringen. Mit stoischer Gelassenheit schaute er nach vorn, während Hanna inständig hoffte, dass niemand sie erkannte. Ulrichs grünes Samtkleid gewährte ihr zwar einen gewissen Schutz, denn die letzten Wochenhatte sie sich nur im Laienhabit der Dominikanerinnen auf die Straße getraut. Aber ihr rotblondes Haar war verräterisch, allein dadurch, dass sie es offen trug, zog sie immer wieder die Blicke auf sich.
Wohin sie auch schaute: Von überall her strömten die Menschen zum Rathaus. Handwerker, Bauern, Tagelöhner, sogar Kaufleute, Mönche und Geistliche. Würden Frauen und Kinder jetzt nicht vor dem
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