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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
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Vorderbeinen auf, wieherte laut und galoppierte, sobald seine Hufe wieder Boden gefasst hatten, quer durch die Menge. Ulrich war machtlos, Mahut hörte nicht mehrauf ihn. Selbst aus dem Galopp heraus bockte er einmal so heftig, dass es einem Wunder glich, dass sie beide nicht aus dem Sattel flogen. Hanna gefror das Blut, so grässlich klangen die Schreie um sie herum. Manch einer konnte noch rechtzeitig zur Seite springen, doch es waren nicht wenige, die von Mahuts schweren Hufen niedergerissen wurden.
    Wut- und Schmerzensschreie erfüllten die Luft, Kleinkinder brüllten.
    Ein Mann schrie, weil Mahuts Huf ihn am Knie traf, ein anderer stürzte so unglücklich zu Boden, dass er hart mit dem Hinterkopf aufschlug. Hanna sah, wie ein zur Seite springender Reisiger zwei greise Bauern mit geschulterten Sensen mit sich riss, wobei eine der Sensenspitzen einer verhärmten Bäuerin an den Hals fuhr. Wie blind jagte Mahut durch die Menschenmenge, niemand konnte ihn aufhalten. Und jene, die ihm schließlich ihre Forken und Spieße entgegenrecken wollten, wichen eingeschüchtert zurück, weil Mahut wie ein Schlachtross unerbittlich auf sie zustampfte.
    Als Mahut die Hofbronngasse erreicht hatte, warf Hanna einen Blick über ihre Schulter zurück. Die Schneise, die Ulrichs Hengst durch die Menge geschlagen hatte, bot ein Bild des Grauens: Zu beiden Seiten lagen laut klagend verletzte Männer und Frauen. Und jene, die unversehrt geblieben waren, reckten ihnen, Flüche ausstoßend, die Fäuste nach.
    Mahut, welcher Dämon ist bloß in dich gefahren?, dachte Hanna entsetzt. Jetzt hast du mich ein zweites Mal gerettet, aber um welchen Preis?

25
    Obwohl sie hinter den Mauern der Dominikanerinnen nichts zu befürchten hatte, hätte Hanna sich am liebsten unsichtbar gemacht. So mied sie den Klostergarten genauso wie die Küche und traute sich nur zu den Mahlzeiten aus ihrer Zelle. Still löffelte sie im Konversenremter die Suppe und achtete darauf, durch keinerlei Löffelgeräusche aufzufallen. Nach dem Essen flüchtete sie zurück in ihre Zelle und versuchte, sich mit dem Lesen der Fibel abzulenken, aber sie konnte sich auf keine Zeile konzentrieren. Immer wieder zuckte sie zusammen, weil sie vermeinte, eins der Opfer schreien zu hören, die Mahut niedergeritten hatte, und als Marie sie fragte, ob denn auch alle wieder gesund würden, bildete sie sich ein, dass Marie ihr die Schuld an der Katastrophe gab.
    Zwei Nächte lang konnte sie deswegen so gut wie überhaupt nicht schlafen. Sie brauchte nur für einen Moment die Augen zu schließen, schon sah sie wieder die katapultähnlich hochschnellende Sense, die Forken, Spieße und Lanzen der Bauern, ihre emporgereckten Fäuste und wütenden Gesichter. Hanna zermarterte sich den Kopf, wie viel Schuld auf sie fiel, brachte schließlich keinen Bissen mehr herunter und rechnete stündlich damit, dass Priorin Agathe sie als untragbare Sünderin des Klosters verwies. Schließlich nahmen ihre Schuldgefühle derart zu, dass sie am dritten Tag ins Spital laufen wollte, um den Opfern ihre Hilfe anzubieten. Wäre ich nicht gewesen, redete sie sich ein, wäre all das nicht passiert. Nur weil ich mich nicht meinen Standesgrenzen unterwerfe, müssen jetzt andere leiden.
    Verweint und kraftlos schleppte sie sich am frühen Nachmittag zur Klosterpforte. Die Luft war noch immerlau, Krokusse zierten mit ihren gelben und violetten Blütenköpfen die Rasenstücke, und hie und da schossen bereits einzelne Schwalben um die Klostergebäude. Hanna aber hatte nur Augen für die Klosterpforte. Sie hatte sie fast erreicht, da fuhr ihr ein gebieterischer Ruf in den Nacken. «Wenn du fortgehst, Köhlerin Völz, macht das auch nichts ungeschehen. Wie kann man so dumm sein, Himmel nochmal! Willst du dich dem Verdacht aussetzen, einen Hengst verhext zu haben?» Hanna fuhr herum, und schon hatte sie eine Ohrfeige sitzen. «Kannst es wohl gar nicht mehr abwarten, dass sie dich ins Loch stecken, wie? Glaub mir, dahin kommst du noch früh genug!»
    Schwester Mathilde, eine der wenigen wirklich überzeugten Nonnen, funkelte sie herausfordernd an. Hanna schoss das Blut zu Kopf, ihr Herz raste. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass die Nonne sie davor bewahrt hatte, ins Unglück zu laufen.
    «Danke», sagte sie leise.
    «Das will ich meinen.»
    Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, machte Schwester Mathilde kehrt und verschwand in Richtung Kirche. Hanna bekreuzigte sich und wandte sich zum Gehen. Im selben Moment hörte

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