Das Gesicht des Teufels
Rödertor das Theaterstückchen über Adam und Eva anschauen, überlegte sie, wären noch viel mehr unterwegs. Sie hielt sich die Ohren zu, so laut wurde es, je näher sie dem Markt kamen. Ohrenbacher und Brettheimer Bauern, Letztere aus dem Süden der Landhege, grölten das Spieß-voran-Lied aller Unzufriedenen, Trommler paukten gegen die Pfeifer und alle zusammen gegen zwei Dudelsackspieler, die so vehement bliesen, dass ihnen die roten Köpfe jeden Augenblick zu platzen schienen.
«Da, sieh mal», rief sie und drehte sich um. «Da vorne steht der blinde Franziskaner, der Hans Schmidt.»
«Ja, und gleich daneben der Herr Doktor ABC.»
«Wer?»
«Des berühmten Herrn Dr. Martin Luthers einstiger Doktorvater. Der Rat hat nach ihm gefahndet, um ihn aus der Stadt zu werfen, aber so ein Geist hat natürlich seine Gönner. Vor allem unter den reichen Witwen.»
Erstaunt sahen sie zu, wie sich vor dem blinden Mönch eine riesige Schlange bildete: Jeder wollte von ihm gesegnet oder wenigstens mit einem Spritzer geweihten Wassers seelisch geläutert werden.
«Dieser Windmacher», knurrte Ulrich. «Er ist der heimliche Kopf der Franziskaner, der Prior hat nichts mehr zu melden. Wenn er den Mund aufmacht, wiegelt er entweder das Volk auf oder predigt im Konvent die Lehren Luthers.»
«Was sagt denn der Luther?»
«Dass der Mensch in Glaubensdingen frei sei, über allen Dingen stehe und niemandem untertan sei. Andererseits sei er als Christ Knecht aller, weil er um Jesu Christi willen jeden lieben solle. Außerdem beschimpft Luther den Papst als Antichrist und will, dass in den Kirchen deutsch gepredigt wird.»
«Und ist das schlecht?»
Statt ihr zu antworten, küsste Ulrich sie kurz auf den Mund. Hanna lachte, drehte sich wieder um und schmiegte sich an ihn. Noch nie hatte sie mit Ulrich über Glaubensfragen gesprochen, umso schöner empfand sie jetzt seine Antwort: Was geht uns das an, schien sie auszudrücken, wichtig ist doch allein die Liebe.
«Lass uns lieber Marie und die Schwestern abpassen», raunte Ulrich ihr ins Ohr, denn er hatte jemanden in der Menge entdeckt, der sie beide jetzt besser nicht sah: Valentin Schnitzer. Er stand ganz in der Nähe an der Ecke der Ratsherrentrinkstube und schwang die Neusitzer Fahne, neben ihm reckten die Leitgeb-Zwillinge die Köpfe, beide einen Humpen Bier in der Faust.
Hanna nickte und drehte den Kopf zur Seite.
«O Gott!»
«Schau nicht hin!»
Doch es war zu spät. Einer der Leitgeb-Zwillinge hatte sie entdeckt. Er stieß Valentin in die Seite und zeigte in ihre Richtung. Valentin wies mit ausgestrecktem Arm auf sie und rief wütend: «Schaut sie an, die Deutschherrn! Essen, trinken, schlafen gehn ist nicht das Einzige, was sie drehn – jetzt nehmen sie uns noch die Frauen weg.»
Sofort hatte er die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ulrich versuchte, Mahut zu wenden, doch das Gedränge war zu dicht. Hilflos musste er mit ansehen, wie sich Valentin und die Leitgeb-Zwillinge in einem Pulk andererBauern und von Kleinhandwerkern zu Hanna und ihm durchdrängelten.
Mahut wieherte unruhig und begann zu tänzeln. Mit einem Mal begriff Hanna die Gefahr. Denn obwohl Ulrich seinem Hengst den Hals klopfte und beruhigend auf ihn einredete, drohte Mahut in Panik zu geraten. Wenn er jetzt hochsteigt und durchgeht, dachte sie, nicht auszudenken, wie viele Menschen dabei zu Schaden kommen.
«Der Deutschherr liebt eine Köhlerin», brüllte Valentin und spie aus. «Vielleicht hat sie ihn aber auch verhext, unsere Seherin!»
«Ja, das ist sie, die Hexe!», schrie einer aus dem Pulk. «Sie war es, die das Korn vom Herren-Müller verhext hat.»
«Wie das zusammenpasst, was?», hetzte Valentin weiter. «Deutschherrn und Teufelsgesichter.»
«Valentin, hör doch auf!»
«Nein, wir werden streiten!», rief Valentin voller Emphase und drehte sich zu den anderen um. «Und keiner weiß wie lang, weil’s Leben sein muss ohne Zwang», skandierte er. «Dann krieg’n die Herrn uns nicht mehr klein, weil wir alle halten z’sammen und so keiner steht allein!»
«Genau, keiner steht allein!»
«Zurück», rief Ulrich aufgebracht und griff zur Reitgerte. «Um euer Wohl willen, lasst das!» Doch schon sprangen mehrere Bauern hinzu, um Mahut ins Zaumzeug zu fassen.
Mahut schüttelte sie ab, schlug nach hinten aus, Hanna schrie auf, ebenso die Bauern. Einem von ihnen zerbiss Mahut die Hand, einem anderen schlug er mit seinem Kiefer voller Wucht gegen den Kopf. Dann stieg er mit seinen
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