Das Gesicht des Teufels
bedeuten, nicht zu sprechen.
Kaum hörbar erklang von irgendwoher Hundegebell.
«Babur!» Marie schluckte die Mandel herunter, von einem Augenblick auf den anderen hatte sie alles um sich herum vergessen. «Er ist in der Nähe vom Galgenturm.»
Sie rannte los. Gisela und Rahel schauten sich an und seufzten. Lassen wir sie, sagten ihre Blicke. Sie macht ja eh, was sie will. Ohne Hast folgten sie Marie, die an der äußeren Stadtmauer entlangrannte. Ungestüm prallte sie mit einer Mutter zusammen, den nächsten Zusammenstoß vermied sie nur, weil sie im letzten Moment einen Haken schlug. Mehrmals sprang sie in die Luft und rief Baburs Namen, doch schließlich blieb sie wie angewurzelt stehen. Wie verloren starrte sie auf den entgegenwallenden Strom aus Müttern, Kindern und fliegenden Händlern.
«Marie! Vielleicht war es doch ein anderer Hund?» Gisela zog sie an sich und streichelte ihr über den Kopf. «Weißt du, dein Babur ist ja nicht der einzige Hund seiner Art. Andere Baburs bellen genauso. Das ist bei Hunden so. Nur wir Menschen sind alle verschieden.»
Marie löste sich aus Giselas Umarmung und schaute mit tränennassen Augen zu ihr hoch: «Du willst ja nur sagen, dass er tot ist.»
«Aber nein.»
Da ertönte plötzlich lautes Hundegebell, und eine aufgebrachteJungenstimme rief nicht weit von ihnen: «Prinz, Prinz! Bleib hier!»
Das Bellen wurde lauter, aber noch war kein Hund zu sehen.
«Babur!»
«Prinz!»
Die Namen flogen hin und her, Maries Stimme war am Überschnappen. Ein großer weißbrauner Hund schoss hinter einem Limonadenverkäufer hervor und geradewegs auf Marie zu. Den Küchenschwestern blieb das Herz stehen, aber da war es schon geschehen: Der Hund sprang an Marie hoch und warf sie auf den Rücken. Marie aber krallte sich in sein Fell, presste ihn an sich. «Babur, mein Babur», rief sie glücklich und lachte und kicherte, weil dieser ihr die feuchte Hundenase in die Halsbeuge stupste und ihr hingebungsvoll das Gesicht leckte.
«Prinz, aus!», keuchte ein semmelblonder Stoppelkopf mit Sommersprossen, der vielleicht ein Jahr älter war als Marie. Die Schwestern fingen seinen erschrockenen, schuldbewussten Blick auf, als er Babur am Halsband zurückriss. «Tut mir leid. Er tut nichts. Bestimmt, hab keine Angst, er will nur spielen.»
«Das weiß ich.» Marie strahlte und breitete noch einmal die Arme aus, um Babur zu umarmen. «Babur ist der liebste und beste Hund auf der ganzen Welt.»
«Er heißt Prinz.»
«Nein, Babur.»
«Oh, oh, jetzt wird’s schwierig.»
Gisela schaute Rahel an, die die Arme in die Hüften gestemmt hatte und so aussah, als wolle sie eine Strafpredigt halten, noch bevor der Streit überhaupt richtig losgegangen war. Zum Glück war Rahels Ausstrahlung genauso imponierend wie ihre Statur, und so hörten ihr Marie und der Junge, der Lienhart hieß, erst einmal zu.
Rahel erklärte Lienhart, unter welchen Umständen Marie ihren Babur verloren und seitdem immer wieder nach ihm gesucht hatte. «Aber wie es aussieht, Lienhart, hast du Babur damals gefunden und ihn gesund gepflegt, was Gott dir nicht vergessen wird, denn er liebt auch die Tiere. Weil du nun seinen Namen nicht wissen konntest, hast du ihn Prinz genannt, dein Prinz aber, das hast du ja gerade miterlebt, hat die Marie auch nicht vergessen können. Beide haben sich noch genauso lieb wie damals. Ab jetzt seid ihr also beide für ihn verantwortlich. Du, Lienhart, wirst dich an den Namen Babur gewöhnen müssen, und du, Marie, an Prinz. Werdet Freunde und teilt euch den Hund. Anders geht es nicht. Streit ist sinnlos. Und so, wie ich es sage, wird es gemacht. Basta.»
Babur strahlte Rahel an, als habe er jedes Wort verstanden. Und als wolle er ihre Worte gleich mit Leben füllen, machte er sich aus Maries Umarmung los und ließ sich neben Lienhart nieder.
Beide wussten nicht, was sie sagen sollten. Erst schauten sie sich ungläubig an, dann schauten sie zur Seite. Lienhart wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, Marie machte einen Schmollmund. Rahel stand noch immer mit in die Hüfte gestemmten Armen da, und Gisela schaute, um den Worten ihrer arbeitsamen und praktisch denkenden Mitschwester gehörig Nachdruck zu verleihen, streng von einem zum anderen.
«Babur, komm mal her», sagte Marie traurig.
«Nein, Prinz, du bleibst bei mir.»
«Ich hab doch gerade gesagt …», schnaufte Rahel los, doch da sprang Babur auf und knurrte sie mit gefletschten Zähnen böse an.
Gisela schrie erschrocken
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