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Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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Vorführkabine stand an einer Wand ein Federkernsofa, und auf jeder freien Fläche lagen Bücherstapel. Offenbar las Jelly gern während der Filmvorführungen.
    Der Fettwanst deutete auf eine andere Tür als die, durch die sie eingetreten waren, und sagte: »Dahinter liegt meine Wohnung. Ben hat dir einen ganz speziellen Karton hinterlassen. «
    Während Jelly die Schachtel holte, lockte der alte Projektor, zweifellos noch der ursprüngliche und so bejahrt wie das Kino selbst, Deucalion an. Diese gewaltige Apparatur wies riesige Film- und Leerspulen auf. Der 35 mm-Film musste durch ein Labyrinth von Greifern und Führungen und in den Spalt zwischen der Hochleistungsglühbirne und dem Objektiv eingefädelt werden.
    Er sah sich die Regler für die Feineinstellung genauer an
und arbeitete sich voran, bis er in das Zyklopenauge des Projektors schauen konnte. Er entfernte eine Abdeckplatte, um das Getriebe, die Rädchen und die Motoren im Innern zu inspizieren.
    Über den Balkon, die Ränge und das Parkett hinweg konnte diese Vorrichtung eine strahlend helle Illusion des Lebens auf die große Leinwand projizieren.
    Sein eigenes Leben war Deucalion während der ersten Dekade oft wie eine finstere Illusion erschienen. Mit der Zeit war das Leben jedoch zu real geworden und hatte es erforderlich gemacht, dass er auf Jahrmärkten und in Klöstern Zuflucht suchte.
    Jelly, der mit einem alten Schuhkarton voller Papiere zurückkam, blieb stehen, als er Deucalion an dem Projektor herumspielen sah. »Es macht mich nervös, wenn du daran rummachst. Das ist eine Antiquität. Ersatzteile und Mechaniker für die Reparatur sind schwer zu bekommen. Das Ding ist die Seele des Kinos.«
    »Es liegt in den letzten Zügen.« Deucalion brachte die Abdeckung wieder an, um die empfindlichen Teile zu schützen. »Das Geheimnis jeder Maschine lässt sich mit Logik ergründen – ganz gleich, ob es sich um einen Filmprojektor, ein Düsentriebwerk oder das Universum als solches handelt.«
    »Ben hat mich davor gewarnt, dass du dir zu viele Gedanken machst.« Jelly stellte den Schuhkarton auf einem Stapel von Illustrierten und Klatschblättern ab. »Er hat seinem Brief an dich einen Zeitungsausschnitt beigelegt, stimmt’s?«
    »Und mich damit ans andere Ende der Welt gelockt.« Jelly nahm den Deckel von dem Schuhkarton. »Ben hat jede Menge von diesen Artikeln gesammelt.«
    Deucalion nahm den obersten Zeitungsausschnitt in die Hand, warf einen Blick auf das Foto und las dann die Überschrift: VICTOR HELIOS SCHENKT DEM SYMPHONIE-ORCHESTER EINE MILLION.

    Der Anblick des Mannes auf der Fotografie, der nach all der Zeit so gut wie unverändert war, erschütterte Deucalion ebenso sehr wie schon im Kloster.
     
    Blitze wie Krummsäbel weiden eine schwarzbäuchige Nacht aus, und dann lassen Donnerschläge wieder Dunkelheit an den hohen Flügelfenstern rütteln. Aus flackernden Gaslampen tollt Licht über die steinernen Wände eines höhlenartigen Laboratoriums. Ein Lichtbogen knistert zwischen den mit Kupferdraht umwickelten Polen unheimlicher Geräte. Funken sprühen von bedrohlich überlasteten Transformatoren und Maschinen mit Kolbenantrieb.
    Das Gewitter nimmt an Heftigkeit zu und schleudert einen Blitz nach dem anderen in die Kollektorenstäbe, die auf den höchsten Türmen angebracht sind. Diese unglaubliche Energie wird hinuntergeleitet in …
    … ihn.
    Er schlägt die schweren Lider auf und sieht die Augen eines anderen Mannes, vergrößert durch eine Sehvorrichtung, die der Lupe eines Juweliers ähnelt. Die Lupe wird hochgeklappt, und er sieht in das Gesicht von Victor. Jung, ernst, hoffnungsvoll.
    Mit einer weißen Mütze und einem blutbespritzten Kittel, dieser Schöpfer, dieser Möchtegern, der am liebsten Gott wäre …
     
    Mit zitternden Händen ließ Deucalion den Zeitungsausschnitt fallen, der flatternd auf den Fußboden des Vorführraums segelte.
    Ben hatte ihn zwar darauf vorbereitet, doch er war von neuem schockiert. Victor war noch am Leben. Am Leben.
    Mindestens ein volles Jahrhundert hatte sich Deucalion seine eigene Langlebigkeit mit dem simplen Umstand erklärt, dass er einzigartig war, durch einmalige Mittel zum Leben erweckt worden. Daher mochte es sein, dass er außerhalb der Reichweite des Todes existierte. Er bekam nie eine
Erkältung, keine Grippe, keine Gebrechen, keine körperlichen Beschwerden.
    Victor dagegen war der Verbindung eines Mannes mit einer Frau entsprungen. Er hätte sämtliche Übel des Fleisches von ihnen

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