Das Gesicht
weit voraus. Und doch verspürte er das Bedürfnis, über Fortschritte in der Genetik, der Molekularbiologie und verwandten Gebieten bestens informiert zu sein.
Er verspürte aber auch das Bedürfnis nach einem Wein,
der die gerösteten Walnüsse besser abrundete als der Cabernet, den Erika dazu serviert hatte. Zu viel Gerbsäure. Ein guter Merlot wäre vorzuziehen gewesen.
Sie saß auf dem Sessel ihm gegenüber und las Gedichte. Emily Dickinson hatte sie in ihren Bann geschlagen, und das ärgerte Victor.
Die Dickinson war natürlich eine gute Dichterin gewesen, aber sie hatte diesen Fimmel für Gott gehabt. Ihre Verse konnten die Naiven in die Irre führen. Intellektuelles Gift.
Wofür auch immer Erika eines Gottes bedurfte – dieses Verlangen ließ sich hier in diesem Zimmer stillen. Schließlich war sie mit ihrem Schöpfer verheiratet.
Rein körperlich gesehen, hatte er seine Sache gut gemacht. Sie war schön, anmutig und elegant. Sie sah aus wie fünfundzwanzig, war jedoch erst seit sechs Wochen am Leben.
Victor selbst hätte mit seinen zweihundertvierzig Jahren als Fünfundvierzigjähriger durchgehen können. Seine eigene jugendliche Erscheinung zu bewahren war schwieriger gewesen, als ihre jugendliche Erscheinung hervorzubringen.
Schönheit und Anmut waren nicht die einzigen Kriterien, nach denen er eine ideale Ehefrau bewertete. Es war auch sein Wunsch, dass sie auf gesellschaftlicher und intellektueller Ebene kultiviert war.
In dieser Hinsicht hatte ihn Erika in vielen Details enttäuscht, und es hatte sich bereits erwiesen, dass sie nur langsam dazulernte, und das trotz des Downloads von Daten direkt ins Gehirn, darunter virtuelle Enzyklopädien zu den Themen Etikette, kulinarische Sitten und ihre Geschichte, Weine und ihre korrekte Bewertung, geistreiche Bemerkungen und dergleichen mehr.
Die theoretischen Kenntnisse auf einem Gebiet hießen natürlich noch lange nicht, dass man dieses Wissen praktisch anwenden konnte, aber Erika schien sich auch
nicht genug anzustrengen. Der Cabernet anstelle des Merlot, Emily Dickinson …
Victor musste jedoch zugeben, dass sie ein ansprechenderes und akzeptableres Geschöpf war als Erika drei, ihre unmittelbare Vorgängerin. Sie war zwar vielleicht noch nicht die endgültige Version – das würde sich erst mit der Zeit erweisen –, aber trotz all ihrer Fehler war Erika vier keine komplette Blamage.
Das dumme Zeug in den medizinischen Fachzeitschriften und der Umstand, dass Erika Dickinson las, vertrieben ihn schließlich von seinem Sessel. »Ich bin in einer kreativen Schaffenslaune. Ich glaube, ich werde mich ein Weilchen in mein Studio zurückziehen.«
»Brauchst du meine Hilfe, Liebling?«
»Nein. Du bleibst hier und vergnügst dich.«
»Hör dir das an«, sagte sie mit kindlicher Begeisterung. Ehe Victor sie davon abhalten konnte, las sie ihm aus ihrem Buch vor: »›Des Honigs wahrer Stammbaum/Der stört die Biene nie,/Für sie zählt jeder Wiesenklee/Zur Aristokratie.‹«
»Entzückend«, sagte er. »Aber zur Abwechslung könntest du mal etwas von Thom Gunn und Frederick Seidel lesen.«
Er hätte ihr vorschreiben können, was sie lesen sollte, und sie hätte ihm gehorcht. Aber es war nicht sein Bestreben, einen Automaten zur Frau zu haben. Er wollte, dass sie freigeistig war. Nur in sexuellen Dingen verlangte er absoluten Gehorsam.
In der grandiosen Küche, die Restaurantstandard hatte, hätte das Personal problemlos ein Menü für hundert Gäste zaubern können. Von dort aus gelangte Victor in die Speisekammer. Die Regale an der Rückwand, die mit Konserven beladen waren, glitten zur Seite, als er einen verborgenen Hebel berührte.
Hinter der Speisekammer, inmitten des Hauses verborgen, befand sich sein fensterloses Studio.
Seine öffentlichen Labore hatte er bei Helios Biovision, der Firma, durch die er weltweit bekannt war und die ihm ein weiteres Vermögen eingetragen hatte, zusätzlich zu denen, die er bereits in früheren Zeitaltern angehäuft hatte.
Und im Hände der Barmherzigkeit , einer stillgelegten Klinik, die umgebaut worden war, um seinem eigentlichen Werk zu dienen, mit einer Belegschaft ausgestattet, die er selbst erschaffen hatte, widmete er sich der Erschaffung einer neuen Rasse, die die unzulängliche Menschheit ersetzen würde.
Hier, in seinem Refugium hinter der Speisekammer, das sechs auf viereinhalb Meter maß, war es ihm möglich, sich mit kleineren Experimenten zu beschäftigen, häufig den gewagtesten und
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