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Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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der Zeit rückgängig zu machen, und Woche für Woche beobachten konnte, dass er jünger wurde.
    Andere gaben sich der Illusion hin, sie drehten das Rad der Zeit zurück, aber Roy wusste, dass seine Erfolge echt waren. Er war nach ausgiebigen Experimenten bei der absolut idealen Kombination aus Sport, gesunder Ernährung, Nahrungszusätzen, Lotionen und Meditation angelangt.
    Die letzte entscheidende Zutat, die ihm noch gefehlt hatte, war der aufbereitete Urin von neuseeländischen Lämmern gewesen, von dem er jetzt hundertzwanzig Zentiliter täglich trank. Mit einer Zitronenscheibe.
    Dieses Zurückdrehen der Uhr war natürlich äußerst erstrebenswert, aber er durfte nicht vergessen, dass er bei dieser Verjüngung auch zu weit gehen konnte. Wenn er zur körperlichen Verfassung eines Zwanzigjährigen zurückkehrte und diese hundert Jahre lang beibehielte, dann wäre das gut; falls er sich jedoch mitreißen ließe und die Kontrolle verlöre, könnte er sich unter Umständen wieder zu einem Zwölfjährigen machen, und das wäre ganz übel.
    Seine Kindheit und Jugend hatten ihm schon beim ersten Durchgang keinen Spaß gemacht. Jede Wiederholung eines Teilaspekts, und sei es auch nur seine äußere Erscheinung, würde einem Blick in die Hölle gleichkommen.
    Als Roy, nachdem er sich angezogen hatte, in der Küche stand und vierundzwanzig Kapseln Nahrungsergänzungsmittel mit Grapefruitsaft hinunterspülte, bevor er sein Frühstück
zubereitete, traf ihn schlagartig die Erkenntnis, dass sein Leben jetzt keinem Zweck mehr diente.
    In den letzten zwei Jahren hatte er die anatomischen Komponenten der perfekten Frau zusammengetragen, erst an den verschiedensten Orten, die weit von New Orleans entfernt waren, und in der letzten Zeit und ekstatischer als je zuvor hier vor seiner eigenen Haustür. Aber mit Candace hatte er seine Sammlung vervollständigt. Hände, Füße, Lippen, Nase, Haar, Brüste, Augen und noch vieles mehr – er hatte nichts vergessen.
    Und was jetzt?
    Es überraschte ihn, dass er nicht weiter vorausgedacht hatte. Als Privatier stand ihm viel Zeit zur Verfügung, als Unsterblichem die Ewigkeit.
    Dieser Gedanke erwies sich plötzlich als erschreckend.
    Jetzt ging ihm langsam auf, dass er im Lauf der Jahre seiner Suche und Ausbeute von der abergläubischen und unbewussten Annahme ausgegangen war, wenn seine Sammlung komplett war, wenn die Gefriertruhe mit all den Puzzleteilchen vollendeter weiblicher Schönheit gefüllt war, dann würde eine lebende Frau, die jeden einzelnen dieser Züge trug, wie durch Zauber in sein Leben treten. Er hatte sich einer Art mythischer Suche verschrieben, mit dem Ziel, sein romantisches Schicksal zu schmieden.
    Vielleicht würde dieser Zauber ja funktionieren. Vielleicht würde er ihr noch heute Nachmittag, während er durch das French Quarter bummelte, von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und geblendet und verzaubert sein.
    Sollten jedoch Tage ohne diese ersehnte Begegnung vergehen, Tage, Wochen und Monate … was dann?
    Er sehnte sich danach, an seiner eigenen Vollendung eine Frau teilhaben zu lassen, die ihm in nichts nachstehen würde. Bis dieser Moment kam, würde sein Leben sinnentleert und ohne jeden Zweck sein.

    Ihn beschlich Unbehagen. Er versuchte, es mit einem Frühstück zu lindern.
    Beim Essen betrachtete er zunehmend faszinierter seine Hände. Diese Hände waren nicht nur schön, sie waren von erlesener Schönheit.
    Aber ach, solange er seine Göttin nicht fand – nicht in Einzelteilen, sondern in einem Stück und lebendig, ohne jeden Makel und ohne jede Unzulänglichkeit –, würden seine Hände nicht in der Lage sein, die Perfektion zu liebkosen, die ihre erotische Bestimmung war.
    Sein Unbehagen wuchs.

39
    Bei Tagesanbruch, als die aufgehende Sonne noch nicht in einem Winkel stand, in dem sie die Buntglasfenster entflammen ließ, bot Unsere Liebe Frau der Kummervollen einer Gemeinde von Schatten Schutz. Das einzige Licht kam von den beleuchteten Stationen des Kreuzwegs und von den Kerzen in den gläsernen rubinroten Votivkelchen.
    Die Luftfeuchtigkeit und die Hitze des frühen Morgens sorgten dafür, dass die Gerüche von Weihrauch, Talg und Wachs mit Limonenduft sich voll entfalteten. Als er dieses Gemisch tief einatmete, malte sich Victor aus, er würde es für den Rest des Tages aus jeder einzelnen Pore ausschwitzen.
    Der Hall seiner Schritte auf dem Marmorboden wurde von dem Kreuzgewölbe über ihm zurückgeworfen. Ihm gefiel die kühle Frische

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