Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
Vom Netzwerk:
Nacht im Schlafzimmer aufgehalten hatte – es konnte jetzt nicht mehr da sein.
    Trotzdem durchstreifte sie aufmerksam die Suite, sah hinter Möbelstücke und lauschte auf verstohlene Geräusche.
    In der Nacht war sie zurückgewichen, von einer überraschenden
Furcht vor dem Unbekannten gepackt. Furcht, ein wesentlicher Selbsterhaltungsmechanismus, war der Neuen Rasse nicht gänzlich versagt geblieben.
    Aberglaube dagegen war ein unwiderlegbarer Beweis für Charakterschwäche. Victor duldete keinen Aberglauben. Diejenigen, denen es an Charakterstärke fehlte, wurden zurückgerufen, abgeschaltet, ausgetauscht.
    Selbst ein anscheinend noch so unschuldiger Aberglaube – beispielsweise die Überzeugung, dass jeder Freitag der dreizehnte vom Pech heimgesucht wurde – konnte im Verstand eine Tür öffnen, die zu Gedanken über umfassendere übernatürliche Themen führte. Der wesentlichste Zweck von Victors Revolution bestand darin, das Werk der Moderne zu vollenden und eine Rasse absoluter Materialisten zu erschaffen.
    Erika durchsuchte die Suite, um das quasi abergläubische Grauen zu bezwingen, das sie in der vorangegangenen Nacht gepackt hatte und noch nicht restlos von ihr abgefallen war. Als sie nichts Ungewöhnliches fand, kehrte ihre Zuversicht zurück.
    Sie stellte sich lange unter die Dusche und kostete das heiße Wasser genüsslich aus.
    Angehörige der Neuen Rasse, sogar Alphas wie sie, wurden ermutigt, großen Gefallen an simplen körperlichen Freuden zu finden, da diese als Immunisierung gegen Gefühle dienen konnten. Gefühle an sich konnten durchaus ein gewisses Vergnügen bereiten, doch sie waren auch eine konterrevolutionäre Kraft.
    Zu den Vergnügungen, die gutgeheißen wurden, zählte auch der Sex, nämlich reiner animalischer Sex, vollständig losgelöst von Zuneigung oder Liebe. Der Sex zwischen Angehörigen der Neuen Rasse war aber auch vollständig losgelöst von der Fortpflanzung; sie waren so konstruiert, dass sie unfruchtbar waren.

    Jeder neue Mann und jede neue Frau verdankten ihre Existenz unmittelbar Victors Handlungen. Die Familie war eine konterrevolutionäre Institution. Die Familie war ein Nährboden für Gefühle.
    Victor vertraute es keinem anderen als sich selbst an, Leben aus rein intellektuellen und ausschließlich rationalen Gründen zu erschaffen. Eines Tages würde das Leben aus dem Labor das Leben aus den Lenden vollständig abgelöst haben.
    Nachdem sie geduscht hatte, öffnete Erika die Tür der Duschkabine, zog ein Handtuch von dem nahen Gestell, trat auf die Badematte … und entdeckte, dass ihr jemand einen Besuch abgestattet hatte. Das Plätschern des Wassers und die dampfenden Wolken hatten die Bewegungen des Eindringlings gut getarnt.
    Auf der Badematte lag ein blitzendes Skalpell aus rostfreiem Stahl.
    Das Skalpell musste Victor gehören. Er besaß Sammlungen chirurgischer Instrumente, die er im Laufe seines zweihundert Jahre währenden Kreuzzugs zu verschiedenen Zeiten erworben hatte.
    Victor war aber nicht derjenige, der dieses Messer auf ihre Badematte gelegt hatte. Und es war auch niemand gewesen, der im Haushalt arbeitete. Jemand anders war hier gewesen. Etwas anderes.
    Um sie herum wogte Dampf. Trotzdem zitterte sie.

46
    Beim Verlassen des Leichenschauhauses tat Michael sein Bestes, um die Wagenschlüssel an sich zu bringen, aber wie üblich bestand Carson darauf zu fahren.

    »Du fährst zu langsam«, sagte sie zu ihm.
    »Du fährst zu unausgeschlafen.«
    »Ich bin okay. Ich bin total cool.«
    »Das bist du beides«, stimmte er ihr zu, »aber wach bist du nicht.«
    »So langsam wie du würde ich noch nicht mal dann fahren, wenn ich bewusstlos wäre.«
    »Tja, siehst du, das ist es ja gerade. Ich möchte deine Behauptung nicht auf die Probe stellen.«
    »Das hört sich an, als sei dein Vater Sicherheitsingenieur oder so was.«
    »Du weißt genau, dass er Sicherheitsingenieur ist«, sagte Michael.
    »Was tut ein Sicherheitsingenieur überhaupt?«
    »Er sorgt für Sicherheit.«
    »Das Leben ist von Natur aus eine unsichere Sache.«
    »Und genau deshalb brauchen wir Sicherheitsingenieure.«
    »Das hört sich ganz so an, als sei deine Mutter von narrensicherem Spielzeug besessen gewesen, als du klein warst.«
    »Wie du genau weißt, ist sie in der Produktsicherheit tätig.«
    »Mein Gott, musst du eine langweilige Kindheit gehabt haben. Kein Wunder, dass du Bulle werden wolltest und dir gewünscht hast, dass jemand auf dich schießt und du zurückschießen

Weitere Kostenlose Bücher