Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
Vom Netzwerk:
muss immer aufgeschlossen sein«, sagte sie.
    »Da bin ich ganz deiner Meinung. Aber es ist keine große Hilfe, seinen Verstand so weit zu öffnen, dass der Wind mit einem klagenden Laut durch die Leere braust.«

66
    Das Leben im Hause Victor Frankensteins brachte mit Sicherheit mehr makabre Momente mit sich als ein Leben im Hause von Huckleberry Finn. Dennoch erstaunte der Anblick einer abgetrennten Hand, die über den Teppich im Salon kroch, sogar Erika, eine von Menschenhand erschaffene Frau, die mit zwei Herzen ausgestattet war. Vielleicht eine Minute lang stand sie erstarrt da und konnte sich nicht von der Stelle rühren.
    Für eine umherwandernde Hand gab es keine wissenschaftliche Erklärung. Dies schien eine so eindeutige Manifestation des Übernatürlichen zu sein, wie es eine ektoplasmische menschliche Gestalt gewesen wäre, die bei einer Séance über dem Tisch schwebte.
    Und doch verspürte Erika weniger Furcht als Erstaunen und weniger Erstaunen als Verwunderung. Je länger sie die Hand beobachtete, desto schneller schlugen ihre Herzen, und ein keineswegs unangenehmer Schauer ließ sie erbeben.
    Instinktiv wusste sie, dass die Hand sich ihrer Anwesenheit bewusst war. Sie hatte keine Augen, keine anderen Sinne als den Tastsinn – und selbst den Tastsinn sollte sie eigentlich nicht besitzen, wenn man bedachte, dass sie kein Nervensystem hatte, kein Gehirn –, und doch wusste diese Hand irgendwie, dass Erika sie beobachtete.
    Das musste das Ding gewesen sein, das sie verstohlen im Schlafzimmer umherkriechen gehört hatte, unter dem Bett, das Ding, das den Inhalt des Schränkchens im Bad hatte klappern lassen. Das Ding, das auf ihrer Badematte das Skalpell abgelegt hatte.
    Dieser letzte Gedanke ließ sie zu der Erkenntnis gelangen, dass die Hand nur das Werkzeug der Wesenheit sein konnte, die durch den Fernseher zu ihr gesprochen und sie angestiftet hatte, Victor zu töten. Ebenso, wie diese Wesenheit
den Fernseher benutzt hatte, benutzte sie auch die Hand.
    Wie sie die Hand benutzte, wollte sie auch Erika als Ausführende gebrauchen, um den Mann zu zerstören, den sie das Böse genannt hatte.
    Es gibt keine andere Welt als diese hier.
    Erika rief sich ins Gedächtnis zurück, dass sie ein seelenloser Soldat in der Armee des Materialismus war. Der Glaube an mehr als das, was das Auge sehen kann, wurde mit Ausschalten bestraft.
    Als erkundete die Hand eines Blinden die Muster des Perserteppichs, tastete sich das Ding mit fünf Fingern an Möbelstücken vorbei und bahnte sich einen Weg zu der zweiflügeligen Tür, die vom Salon in die Eingangshalle führte.
    Das Ding wanderte nicht ziellos umher. Allem Anschein nach bewegte es sich zielstrebig voran.
    Einer der beiden Türflügel zur Eingangshalle stand offen. Dort verharrte die Hand und wartete.
    Erika hatte den Verdacht, dass sie sich nicht nur zielstrebig voranbewegte, sondern auch noch wollte, dass sie ihr folgte. Sie ging auf die Hand zu.
    Diese setzte sich wieder in Bewegung und kroch über die Schwelle in die Eingangshalle.

67
    Obwohl die Nacht zielstrebig dem dunklen Beginn eines neuen Tages entgegenkroch, brannten in einem der hinteren Räume des Bestattungsinstituts Lichter.
    Während er hartnäckig mit dem Daumen auf die Klingel drückte, sagte Michael: »Sieh mal, was mir nämlich auch
nicht in den Kopf will, ist, wieso Victor Frankenstein ausgerechnet in New Orleans auftauchen sollte.«
    Carson erwiderte: »Was würdest du denn erwarten, wo er seinen Laden aufmacht – in Baton Rouge, Baltimore, Omaha, Las Vegas?«
    »Irgendwo in Europa.«
    »Warum in Europa?«
    »Er ist Europäer.«
    »Das war er mal, ja, aber jetzt doch nicht mehr. Als Helios spricht er nicht mal mehr mit Akzent.«
    »Dieser ganze gruselige Frankenstein-Rummel, das ist doch total europäisch«, beharrte Michael.
    »Erinnerst du dich noch an den Pöbel, der mit Heugabeln und Fackeln das Schloss stürmt?«, fragte Carson. »Dahin kann er doch nie mehr zurückgehen.«
    »Das war in den Filmen so, Carson.«
    »Vielleicht sind sie ja eher so was wie Dokumentarfilme.«
    Sie wusste, wie verrückt das klingen musste. Die drückende Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit der Gegend taten wohl endlich ihre Wirkung. Wenn man ihren Schädel aufschnitt, würde man vielleicht feststellen, dass ihr Gehirn längst mit Louisianamoos zugewachsen war.
    Sie sagte: »Wo wird heute am meisten mit Gentechnik gearbeitet, wo wird der größte Teil der Klonforschung betrieben? Wo werden in der

Weitere Kostenlose Bücher