Das Gespinst des Bösen

ihrer Uhr ab. Die Fensterscheibe leuchtete rosa und orange. Wie spät war es, verdammt?
    «Es tut mir leid, wenn Sie noch nicht aufgestanden waren», sagte Bernie Dunmore, «aber ich wollte Sie erwischen, ehe Sie irgendwo hingehen. Sie haben mir ja nicht mal erzählt, was Sie vorhaben.»
    «Was habe ich denn vor?»
    «Sie haben mir nicht erzählt, dass Sie in Garway Hill übernachten.» Seine Stimme klang distanziert, ungewöhnlich förmlich. «Nach meinen Informationen –»
    «Das konnte ich nicht. Sie waren nicht da.»
    «Nach meinem
Verständnis
sind Sie in der Geschichte dieser bemitleidenswerten Frau auf einige Unstimmigkeiten gestoßen, die weitere Nachforschungen unnötig erscheinen ließen. Sie haben mir selbst letzten Samstag gesagt, Sie könnten beweisen, dass sie alles erfunden hat.»
    «Das ist nicht … Es tut mir leid, aber das stimmt nicht, nicht mehr. Und dass Sie von meinem Aufenthalt hier nichts wussten …» Sie war aufgestanden, konnte nicht glauben, was sie da hörte. «Sie wollten doch selbst, dass ich nach Garway fahre und über Nacht bleibe. Wissen Sie noch? Volle Aufmerksamkeit?
Sie brauchen einen Stellvertreter?
»
    «Möglicherweise habe ich überreagiert», sagte der Bischof.
    «Das dachte ich zuerst auch, aber jetzt ist es … wissen Sie, jetzt ist es ein bisschen spät.»
    «Spät?»
    «Es sind schließlich zwei Menschen gestorben.»
    Sie ging barfuß zum Fenster. Sie war jetzt hellwach, und sie verstand nicht, was los war.
    «Merrily, lassen Sie uns vernünftig sein.»
    «Ich versuche ja –»
    «Ich weiß von den Todesfällen. Aber ich weiß auch, dass niemand – außer Ihnen – sie in irgendeiner Weise mit diesen angeblichen Vorfällen in Garway in Verbindung bringt.»
    «Bernie –»
    «Außerdem glaube ich, dass es weder im Interesse der Diözese noch des Amtes für spirituelle Grenzfragen wäre, wenn bekannt würde, dass
wir
daraus erst etwas machen. Muss ich Sie wirklich daran erinnern, warum die Verbindung der spirituellen Grenzfragen mit Selbstmord oder Mord, oder erst recht beidem, wie möglicherweise in diesem Fall –»
    «Nein, müssen Sie nicht.»
    «Gut.»
    «Und was genau wollen Sie damit sagen, Bernie?»
    «Kommen Sie einfach nach Hause», sagte der Bischof, als wäre sie im Ausland. «Führen Sie eine Segnung durch, wenn Sie das für nötig halten, und kommen Sie zurück. Wir haben andere Themen zu besprechen. Es gibt einiges zu organisieren. Zu
re
organisieren.»
    «Die Gemeinden?»
    «Merrily, ich möchte am Telefon nicht damit anfangen, es ist sehr früh am Tag, und Sie kennen meinen Standpunkt. Generell meine ich, dass Sie einen wunderbaren Job gemacht haben, unter nicht besonders idealen Bedingungen, und ich möchte
nicht
, dass Ihre Position Schaden nimmt, weil …»
    «Hat das irgendwas mit Siân Callaghan-Clarke zu tun? Weiß Sophie davon?»
    «Es hat nichts mit Siân zu tun, nicht eigentlich, und mit Sophie habe ich gestern Abend gesprochen und –»
    «Nicht eigentlich?»
    «– und sie gebeten, Sie nicht anzurufen, bevor ich selbst mit Ihnen gesprochen habe. Außerdem habe ich inzwischen mit dem Herzogtum gesprochen, und die Herrschaften sind etwas besorgt über alles, was da entfesselt worden sein könnte.»
    «Entfesselt?»
    «Sie, Merrily. Wir haben
Sie
entfesselt. Oder ich, vielmehr.»
    «Ich …» Sie rieb sich die Augen; vielleicht war sie ja noch gar nicht wach. «Entschuldigung, würde es Ihnen etwas ausmachen, das etwas näher auszuführen, Bischof?»
    «Traditionellerweise …» Bernie Dunmore zögerte; man konnte seine Unsicherheit fast hören. «Wer das Amt für spirituelle Grenzfragen ausübt, hat traditionell die Aufgabe … gewissermaßen Balsam auf eine offene Wunde aufzutragen – eine seelische Wunde. Sie neigen dazu, über Ihren Auftrag hinauszugehen. Was, unter normalen Umständen, nicht unbedingt etwas Schlechtes ist. Allerdings …»
    «Sie meinen, Sie halten dies nicht für normale Umstände. Denn dieser Fall berührt möglicherweise staatliche Sicherheitsfragen. Die offensichtlich wichtiger sind als das kleine Leben gewöhnlicher Leute.»
    «Merrily, bitte machen Sie es nicht schwieriger als –»
    «Sie haben nicht zufällig mit einem Detective namens Jonathan Long gesprochen?»
    «Nein. Den Namen habe ich noch nie gehört.»
    «Gut.» Merrily setzte sich auf das Bett. «Ich akzeptiere, dass Sie mir womöglich nicht sagen können, ob er da war. Aber bitte hören Sie mir nur eine halbe Minute zu. Es stimmt,