Das Gespinst des Bösen
ursprünglich schienen die Indizien darauf hinzuweisen, dass Betrug im Spiel ist. Aber jetzt … jetzt habe ich das starke Gefühl – und manchmal muss man sich auf sein Gefühl verlassen –, dass es sich um etwas handelt, das genauer unter die Lupe genommen werden sollte.»
«Dann lassen Sie es jemand anderen unter die Lupe nehmen.»
«Glauben Sie wirklich, jemand anderes macht das?»
«Das ist nicht Ihr Problem.»
«Ich kann nicht glauben, dass Sie das sagen. Hören Sie, geben Sie mir noch einen Tag, und ich maile einen Bericht an Sophie, der morgen früh um zehn auf Ihrem Schreibtisch liegt. Ich werde genau erklären, warum ich – angesichts der Themen, die hier im Hintergrund eine Rolle spielen – das Gefühl habe, dass wir es beim besten Willen nicht mit etwas zu tun haben, das wir ignorieren können.»
«Merrily, Sie haben mir offenbar nicht zugehört.»
«Und es gibt – da Sie zugestimmt haben, dass im Meisterhaus zumindest eine Segnung stattfinden soll – wenigstens einen Menschen, mit dem ich sprechen muss, ehe ich diese Segnung durchführen kann.»
«Und das wäre …?»
«Sein Name ist Sycharth Gwilym.»
«Mrs. Watkins», sagte der Bischof, «das Einzige, was ich morgen früh auf Sophies Schreibtisch sehen will, ist die Rechnung von Pfarrer Murray. Sagen Sie ihm, wir bezahlen die ganzen fünf Tage.»
«Das ist doch vollkommen –»
«Und ich möchte auf keinen Fall, dass Sie noch mit irgendjemandem sonst sprechen. Bitte tun Sie, was ich sage. Packen Sie Ihren Koffer.»
«Bischof, seien Sie ehrlich. Wir waren doch immer ehrlich miteinander. Hat man Sie – wie soll ich es ausdrücken? –
unter Druck gesetzt
?»
«Das ist doch lächerlich.»
Merrily sah ihre Uhr unter dem Nachttisch aufglänzen und bückte sich, um sie aufzuheben. Als sie auf das Zifferblatt sah, war sie erleichtert. Noch nicht mal zehn nach sieben. Sie wusste, dass der Bischof zurzeit immer früh aufstand, aber das war …
«Tut mir leid», sagte Merrily. «Das war ein bisschen beleidigend.»
Totenstille.
Er hatte aufgelegt.
Mein Gott.
Jane war seit sieben Uhr unten in der kalten Küche, schon fertig für die Schule angezogen. Sie hatte Ethel gefüttert, den Wasserkocher angestellt und löffelte Tee in die Kanne, als Siân Callaghan-Clarke im Türrahmen auftauchte – in einem seidenen, meergrünen Morgenmantel, sehr teuer, ziemlich nobel.
«Guten Morgen.»
Jane holte Luft.
«Eigentlich», sagte sie, «glaube ich nicht, dass es ein guter Morgen ist.»
Sie hatte Siân gestern Abend gemieden, hatte vorgegeben, einen Aufsatz schreiben zu müssen, und war in ihrem Apartment verschwunden, wo sie die halbe Nacht wach gelegen und sich in Erinnerung gerufen hatte, was Shirley West mit ihrer eintönigen, weinerlichen Stimme gesagt hatte. Es waren die Glanzpunkte ihrer eigenen Geschichte, aufbereitet und verdreht von einer Expertin.
Siân kam in die Küche, zog einen Korbstuhl nahe am Kopfende des Refektoriumstisches heraus und setzte sich. An dieser Stelle hätte Mom sich eine Zigarette angezündet. Siân saß einfach nur da. Jane stellte zwei Tassen auf den Tisch.
«Tut mir leid, ich hab’s vergessen – ein Stück Zucker?»
«Keinen Zucker, Jane.»
«O.k.» Das hätte sie sich denken können. «Ich hab den Wasserkocher gerade erst angestellt, wird also noch ein, zwei Minuten dauern.»
«Danke.»
«Also», sagte Jane. Es gab keine schlaue Art, das anzufangen. «Es ist so. Ich war gestern Abend in der Kirche, als Sie mit dieser Frau geredet haben. Ich war in der Bull-Kapelle. Hinter dem Wandschirm.»
«Ich weiß», sagte Siân.
Jane starrte sie an. Siâns glattes, metallisches Haar war aus dem Gesicht gekämmt, das erstaunlich wenig Falten hatte, sogar so früh am Morgen – und keinen Ausdruck. Das Gesicht einer Anwältin.
«Als du nicht zur angekündigten Zeit aus dem Schulbus gestiegen bist …» – Die Stimme einer Anwältin – «… wollte ich das Haus nicht verlassen, ehe du wieder da warst. Ich weiß, ich habe streng genommen keine Verantwortung für dich, aber ich hielt es für klug, bis zum letztmöglichen Moment zu warten. Als ich dich dann auf dem Platz gesehen habe, bin ich gegangen. Und als du direkt an mir und Mrs. … Entschuldigung, ich …»
«Prosser.»
«Ja, natürlich. Als du direkt an uns vorbeigelaufen bist – vor allem an Mrs. Prosser –, ohne ein Wort zu sagen, mit verdecktem Gesicht, da ahnte ich, was du vorhast.»
Scheiße.
«Ich …», sagte
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