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Das Gespinst des Bösen

Das Gespinst des Bösen

Titel: Das Gespinst des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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müssen ja vollkommen erschöpft sein nach diesen Tagen.»
    «Es war einfach ein bisschen anstrengend», sagte Merrily.
     
    Wie immer, wenn sie leichtes Fieber hatte, schlief sie in dieser Nacht nicht viel. Noch dazu war es ein fremdes Bett und die harte Matratze nur für Fitness-Freaks geeignet. Gegen zwei Uhr nachts stand sie auf, weil ihr heiß war, und lehnte sich aus dem Fenster in die kalte Luft.
    Bevor sie schlafen gegangen war, hatte Merrily Jane auf dem Handy angerufen. Jane hatte gesagt, Siân Callaghan-Clarke wäre sehr freundlich gewesen, gar nicht, wie sie es erwartet hatte. Sie hatten sich sogar mehrere Stunden unterhalten, über Siâns Zeit als Anwältin und Janes Schwierigkeiten, sich für einen Beruf zu entscheiden.
    «Äh … toll», sagte Merrily.
    «Hey, Mom, ich kann nichts dafür, dass sie keine Zicke ist.»
    «Ich hab doch gar nicht gesagt …»
    «Diese Pause hat alles gesagt.»
    «Hast du dran gedacht, Ethel zu füttern?»
    «Als würde Ethel zulassen, dass ich das vergesse, Mom.» Jane seufzte erschöpft. «Wie läuft’s bei dir?»
    Ja, wie lief es eigentlich? Merrily sah ins Tal mit den im Dunst verschwimmenden Lichtern hinunter. Dies war kein behaglicher Ort.
    Aber Jacques de Molay hatte ihn sich ausgesucht.
    Im Jahr 1294 war der letzte Großmeister des Ordens der Armen Ritterschaft Christi und des Salomonischen Tempels von Frankreich herübergesegelt und dann durch ganz Südengland geritten, um das abgelegene Ordenshaus in Garway zu besuchen. Janes Internet-Recherchen zufolge wusste niemand, warum er gekommen war oder was er in Garway getan hatte. Und wenn es im Internet schon keine verrückten Theorien gab …
    Merrily schloss das Fenster und kroch zitternd wieder ins Bett. Bitte, Gott, lass es keine verdammte Grippe sein.
    Aus einem düsteren, lebhaften Traum wachte sie erneut auf. Der Turm der Kirche von Garway stand bei ihr im Zimmer. Düster erhob er sich in der Ecke neben dem Fenster und sah sie aus seinen vertikalen Schlitzaugen nachdenklich an. Hütete seine Geheimnisse und kannte ihre.
    Sie setzte sich ruckartig im Bett auf. Der Mond war zum Vorschein gekommen und sprenkelte den Schrank mit pudrigem Licht.
    Der Schrank, höchstens ein halbes Jahrhundert alt, hatte ungefähr dieselbe Form wie der Kirchturm, und oben in den beiden Türen befanden sich zwei vertikale Lüftungsschlitze, die jetzt schwarz waren.
    Sie würde noch verrückt werden.
    Merrily legte sich wieder hin, rollte sich in die Decke und wandte dem Schrank den Rücken zu. Sie war hier nicht im
Globus
, und im Zimmer stand nur ein Bett.
     
    Als sie in Ledwardine über den Marktplatz ging, versammelte sich eine Menschenmenge, aber niemand sah sie direkt an, obwohl sie vielsagende Seitenblicke von Leuten wie den Prossers, von James Bull-Davies, Alison Kinnersley und Shirley West erntete.
    Das Abendrot war tiefrosa, und die Lichter gingen an. Lol würde natürlich nicht zu Hause sein, er war irgendwo bei einem Gig. Aber warum war in seinem Cottage in der Church Street dann gedämpftes Licht zu sehen?
    Sie holte den Schlüssel heraus, den er ihr gegeben hatte, aber sie brauchte ihn nicht, denn die Tür war nur angelehnt. Sie ging hinein.
    Im Flur brannte schummriges Licht, und von irgendwo kam leise Musik, der Song ‹Heilung der Seelen› von Lols Album, das Lied, das er über sie geschrieben hatte, bevor sie zusammen waren:
    Oder war es ein Gefühlsverzicht,
    das neue Ziel zu wählen,
    die Heilung der Seelen …
    Über die Musik hinweg hörte sie das kehlige Lachen einer Frau. Auf der Treppe lag, wie vergossenes Öl, ein glänzendes, schwarzes Kleid.
    Merrily hastete todunglücklich nach draußen, wieder über den Platz, auf dem sie gerade Jacques de Molay verbrannten, dessen kalter Blick sie fixierte, durch den dunkler werdenden Rauch hindurch, während sein weißes Gewand schrumpfte und braun wurde.
    Schwitzend und zitternd wachte sie auf, am Himmel stand kein einziger Stern.

[zur Inhaltsübersicht]
    Teil drei
    Mit dem Wort Mysterium drücken wir aus, dass wir etwas, das wir erleben oder über das wir sprechen, nicht vollkommen verstehen, obwohl wir wissen, dass es wahrhaft da und kein Irrtum ist. Es geht nicht darum, wichtigen Fragen nach dem Was, Wie oder Warum auszuweichen.
    Kenneth Stevenson,
Do This. The Shape, Style and Meaning of the Eucharist

28 Eine Art Abschiedsbrief
    Mrs. Morningwood, die sie am Fenster stehend herangewunken hatte, schien jetzt etwas Besorgniserregendes in Merrilys Augen

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