Das Geständnis der Amme
auf dass sie die Stimme senkte. Denn Lothar hatte sein Mahl beendet, mit lautemKrachen seinen Kelch auf den Tisch gestellt und war zu ihnen getreten, ohne dass Judith es bemerkt hatte.
»Ich höre, ihr tuschelt eifrig über meine Lage – und über die eure.«
»Gibt es denn Neuigkeiten?«, fragte Judith ungerührt, indes sich Balduin ertappt fühlte.
Lothar freilich schien daran gewöhnt zu sein, dass man über ihn redete. »Nicht, dass ich wüsste«, gab er frank und frei zu. Er klang gelassen, wenngleich Balduin nicht entging, wie sein Blick unauffällig auf den kleinen Hugo glitt und wehmütig glänzte.
»Ich will nicht begreifen«, meinte Judith indes bitter, »dass das, was man dir, lieber Cousin, verwehrt, nämlich deine Frau zu verstoßen, von Balduin verlangt werden sollte.«
Lothars Augen ließen Hugo los, und statt Wehmut blitzte Spott auf. »Du vergisst, dass die Kirche seit vielen Jahren den Brautraub bekämpft – ein Brauch, der bei unseren heidnischen Vorfahren noch weitverbreitet war. Jeder Bischof deines Vaters würde erklären, dass eure Ehe darum nicht gültig ist.«
»Ach was ! «, stritt Judith ab. »Hat sich nicht eine deiner Schwestern von Graf Giselbert entführen lassen, soweit ich weiß sogar ins Reich meines Vaters, weil er von deinem als Bräutigam nicht akzeptiert wurde?«
»Schon, schon, aber bedenke: Die Synode von Ver hat beschlossen, dass alle Weltlichen, ob adelig oder nicht, ihre Hochzeit öffentlich feiern sollen. Wie viele Zeugen hattet ihr?«
Judith zuckte die Schultern.
»Eben …«, murmelte Lothar, »vielleicht wär’s ratsam, den Ehebund erneut zu schließen. Doch wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass es hier am Hof auch nur einen Kleriker gibt, der euch trauen würde. Sie zeigen mir ihr Missfallen nur zu deutlich. Gerade gestern kam einer dieser Pfaffen zu mir, um mir ins Gewissen zu reden. Sämtliche Tugenden eines Königs hat er mir aufgezählt: Gerechtigkeit üben, Schwache schützen, an der Unauflöslichkeit der Ehe festhalten … Du verstehst nun, warum Waltrada sich lieber von der Tafel fernhält?«
Während er sprach, hatte er sich auf der Bank niedergelassen, doch kaum hatte er geendigt, so sprang er auf, als wäre er von Dämonen gejagt.
»Weiß … weiß Hugo davon?«, fragte Judith. »Ich meine, dass über seine Mutter schlecht geredet wird? Und er bei vielen als Bastard gilt?«
Lothar lachte säuerlich auf. »Glaub mir, wenn ich an seine Zukunft denke, dann scheint mir das geringste Problem zu sein, wenn man es ihm heute an Respekt mangeln lässt.«
Er nickte ihnen zu, um dann mit schnellen Schritten zu seinem Sohn zu eilen, ihn zu packen und hochzuheben – mit einem kurzen Lachen, das trotz aller Bitterkeit ehrlich klang. Es war nicht sicher, ob er bei dem Knaben Ablenkung und Zuflucht suchte oder ihn vor den vielen missgünstigen Blicken zu schützen gedachte.
»König Lothar setzt ein Zeichen, indem er ausgerechnet uns aufgenommen hat, nicht wahr?«, fragte Balduin, dem nun manches klar geworden war. »Das heißt: Er will ein Zeichen setzen. Wir, die wir bei Kirche und König in Ungnade gefallen sind, sind seine Gäste. Was gleichsam heißt, dass auch er sich denselbigen nicht zu fügen gedenkt.«
Judith nickte nachdenklich. »Wir sollten Waltrada besuchen«, entschied sie dann. »Ich würde mich an ihrer Stelle nicht verkriechen, um meinen Widersachern Zeit und Raum zu geben, über mich zu schwatzen. Doch wenn sie offenbar zu schwach ist, sich diesen Blicken auszusetzen, wird sie Zuspruch brauchen.«
In Waltradas Gemach hing schwer der Dunst von Schweiß. Es schien, als habe Lothars unglückliche Frau seit Wochen weder die Kleidung getauscht noch sich gewaschen, und allein der Anblick von zwei Fremden, die ihren Gatten begleiteten, trieb ihr neue Schweißperlen aufs Gesicht. ängstlich riss sie die Augen auf und sprang von ihrem Stuhl, als hätte man sie bei etwas Verbotenem ertappt.
Erst als sie den kleinen Hugo erblickte, der von Lothars Handgeführt ebenfalls das Gemach betrat, entspannte sich ihre Miene. Ein ebenso hilfloses wie trauriges Lächeln erschien auf ihrem Mund, und sie schritt hastig auf den Sohn zu. Balduin und Judith entging nicht, dass sie den Ehemann hingegen kaum anblickte – offenbar nicht aus Verachtung, weil er sie in diese unglückliche Lage gebracht hatte, sondern aus Furcht.
Ihr Kind fürchtete sie nicht, sondern herzte es besitzergreifend und wollte es auch dann nicht loslassen, als es sich
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