Das Geständnis der Amme
stetig über das Pergament strichen, wirkten sie gelblich, als hätte man sie mit Wachs überzogen wie mit Handschuhen, um sie vom Irdischen reinzuhalten.
»Ihr zeigt großen Mut, mein Sohn, hierherzukommen«, begann Nikolaus schließlich zu reden. »Es überrascht mich nicht. Man sagte mir über Euch, dass Ihr ein Krieger ohne Todesfurcht seid.«
Balduin atmete tief durch. Was immer an Gutem oder Schlechtem aus diesem Zusammentreffen erwachsen würde, er durfte sein Unbehagen nicht zeigen, nicht das schlechte Gewissen, das da an ihm nagte, ihm vorhielt, dass er wahnsinnig sein musste, ohne Judith zu kommen, sich ausgerechnet jetzt zu beweisen, dass er sich ohne sie nicht minder vollständig fühlte.
»Habe ich hier Schlimmeres zu befürchten als im Krieg?«, fragte er zurück.
»Ihr seid unbewaffnet gekommen«, stellte der Papst fest.
»Weil ich hier bin, um Euch das Heil meiner Seele anzuvertrauen«, sagte Balduin, und seine Stimme klang – zu seiner eigenen Erleichterung – deutlich fester als zuvor. »Muss ich dafür ein Schwert tragen?«
Falls Papst Nikolaus jemals lächelte, so tat er es jetzt, vorausgesetzt, man konnte das unruhige Zucken der Mundwinkel dafür halten. »Aber wer sagt Euch«, fragte er zurück, »dass nicht hinter einer dieser Mauern ein Scherge von König Karl lauert, um das Problem eines ungeliebten Schwiegersohns auf ebenso unauffällige wie wirksame Weise aus dem Weg zu schaffen?«
Balduin verkrampfte unwillkürlich die Hände. »Würdet Ihr solch eine Schandtat an einem Ort wie diesem gestatten?«
Die Mundwinkel zuckten wieder.
»Das ist eine gute Frage«, sagte der Papst, dann schwieg er. Seine Augen schwenkten über Balduins Gestalt, weder neugierig noch freundlich, doch auch nicht abgestoßen von dem, was sie sahen.
Balduin versuchte sich daran zu erinnern, was er von Nikolaus I.wusste. Demzufolge war er ein Mann aus edlem Geschlecht – der Sohn des Regionars Theodor. Kaiser Ludwig, König von Italien, war bei seiner Papstwahl anwesend gewesen und hatte nach der Weihe den Papst persönlich am Zügel des Pferdes geführt – eine Geste der Erniedrigung, die Kaiser Ludwig sicher mit Bedacht gewählt hatte. Ob der unruhigen Lage im Süden und der Bedrohung durch die Sarazenen war der Papst ein wichtiger Bündnispartner –und nach allem, was Balduin gehört hatte, auch ein fähiger.
Unter ihm gab es kaum Unruhen in Rom, die Ernten waren reich, und für die Armen, die es dennoch gab, ließ der Papst Speisemarken ausgeben, die mit seinem Namen gezeichnet waren. Sehr baufreudig war er, hatte zwei Wasserleitungen errichten lassen und den Porticus an der Santa Maria in Cosmedin. Allerdings – und dies bekrittelten einige der Mönche – gab es keine großen Schulen in Rom, deswegen auch keine Gelehrten, die den christlichen Glauben mit den Methoden der Wissenschaft ergründeten.
»Das ist eine gute Frage«, wiederholte der Papst. »Würden Wir gestatten, dass man Euch meuchelt? Vor allem dann, wenn der westfränkische König Karl es persönlich von Uns erbäte?«
Nikolaus schien nachzusinnen, obwohl Balduin sich nicht vorstellen konnte, dass er ernsthaft darüber nachdachte und dass das, was er schließlich sagte, der Laune dieses Augenblicks entsprach. Wenn sich die Nachricht, dass sie in Rom eingetroffen waren, im Lateranpalast herumgesprochen hatte, dann hatte sich gewiss auch Nikolaus auf eine Begegnung vorbereitet.
»Eine Bluttat wird zu keinem geringeren Verbrechen, nur weil sie ein König fordert und kein gewöhnlicher Mensch«, meinte Balduin.
»Da habt Ihr Recht«, erwiderte der Papst friedfertig. »Allerdings …«
Wieder wartete er. Balduin fühlte sich an jene Augenblicke eines Kampfes erinnert, da man zu sehr im Schlamm feststeckte, um endlich zuzuschlagen, da das Warten zermürbender war als die Furcht vor dem feindlichen Schwert.
»Allerdings … auch wenn der König Uns natürlich nicht um einen Meuchelmord gebeten hat – was er von Uns wünscht, steht außer Zweifel. Ihr müsst bedenken, Graf Balduin: Es kommt nicht selten vor, dass ein König Uns oder Unsere Vorgänger um etwas bittet. Wenn die fränkischen Bischöfe untereinander zerstritten sind, so richtet man die komplizierten Fragen des Kirchenrechts an Uns, sodass wir mit Unserem Urteilsspruch entscheiden. Freilich gab es auch manchen König, der glaubte, er könne in dieser Hinsicht auf Uns verzichten. Der Urgroßvater Eurer … Ja, ist sie denn Eure Gattin? Der Urgroßvater von Königin Judith
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