Das Geständnis der Amme
also, Karl der Große, wähnte sich gebildet genug, um manches Mal selbst zu beschließen, welches Recht in der Kirche zu gelten habe und welches nicht.«
Er setzte eine lange Pause. Balduin war nicht sicher, ob der Papst erwartete, dass er das Gesagte kommentieren würde, denn sein Blick war abgeschweift.
»Mein Vorgänger war auf Kaiser Karl angewiesen – zumindest in jener Stunde, als ihm die Langobarden immer gefährlicher wurden. Es war ihm damals lieb, den König in Rom zu wissen –nicht allzu lange, wohlgemerkt.«
Wieder atmete Balduin tief durch, verbot sich, an Judith zu denken, die all diese Worte gewiss besser einzuordnen imstande war als er. »Was wollt Ihr mir sagen?«
Der Blick des Papstes streifte ihn wieder, flüchtig nur, aber deutlich amüsiert. »Ihr seid also nicht nur mutig, sondern auch offenherzig. Vielleicht gefällt Uns das. Aber kommen Wir zu den Bitten zurück, die fränkische Könige an Uns richten. Manchmal bedurften sie Unser mehr als wir ihrer, dann nämlich, wenn sie in Kriegen gegen Söhne oder Vettern oder Brüder eine Stimme hören wollten, die laut verkünden sollte: ›Dieses hier ist der einzig wahre, gottgewollte Herrscher, alle anderen aber sind des Teufels !‹ Freilich darf diese Unsere Stimme nicht zu laut sein. Denn was wäre, wenn plötzlich Wir allein bestimmten, wer König sein soll und wer nicht – womöglich gar anstelle dessen, der vermeint, er wäre der einzig wahre? Kaiser Ludwig, der Sohn vomgroßen Karl und Judiths Großvater, hat sich dereinst die Krone selbst aufgesetzt, um zu beweisen, dass er nicht unter Uns steht, sondern neben, ja vielleicht über Uns. Und das ist die entscheidende Frage.«
Er nickte bedächtig. Balduin fühlte, wie seine Hände schweißnass wurden.
»Ja, die entscheidende Frage«, setzte der Papst hinzu. »Wer ist es, der die Entscheidung über Eure Ehe treffen darf? Wer ist es, der Gottes Willen zuerst zu ergründen und dann zu verkünden hat?«
»Wir haben die lange, beschwerliche Reise auf uns genommen, weil wir der festen überzeugung sind, dass Ihr es seid«, erklärte Balduin.
»Dies nun ist nicht nur mutig und offenherzig, sondern obendrein klug gesprochen. Es ist für Unsereins doch immer schmeichelhaft zu hören, dass Wir mehr Macht haben sollten als jeder König dieser Welt. Freilich, so klug diese Schmeichelei sein mag, so dumm ist es vielleicht für Uns, sich von ihr verlocken zu lassen. Wenn Ihr tatsächlich die Alpen überquert habt, Graf Balduin, so wisst Ihr, dass die Wege dort nicht nur schmal und steinig sind, sondern sehr dicht am Abgrund entlangführen. Jeder Schritt mag wohl überlegt sein – und ebenso ergeht es Uns Päpsten, wenn Wir entscheiden müssen, worin Wir den Königen zu Willen sein sollten und worin nicht. Ein falscher Schritt – und Wir drohen zu stürzen.«
»Ich dachte stets«, Balduin räusperte sich, er hatte zu kindlich trotzig angesetzt. »Ich dachte stets«, versuchte er es erneut, »Ihr trefft Eure Entscheidungen nicht mit Rücksicht auf die Mächtigen dieser Welt, sondern auf das Wort Gottes. Und jenes besagt, dass der Mensch nicht trennen soll, was der Allmächtige verbunden hat.«
Der Blick des Papstes verdüsterte sich merklich. Die Lust, dieses Gespräch zu führen, schien sich langsam zu erschöpfen. »Aber hat der Allmächtige denn Eure Ehe gesegnet, Graf Balduin?«, bemerkte er nun, nicht ärgerlich oder vorwurfsvoll, ehergelangweilt. »Ist Er nicht ebenso empört über Eure Anmaßung, einen solchen Bund ohne jeglichen Respekt vor Stand und Sitte zu schließen, wie der König?«
»Seid Ihr für oder gegen uns?«
»Soll ich diese Entscheidung etwa mit Hast treffen?«
Die vielen Fragen zermürbten Balduin. »Es würde uns, nachdem uns die fränkischen Bischöfe wegen der Eheschließung exkommuniziert haben, davor bewahren, in einem Zustand der Sünde zu leben.«
»Den Ihr so gewählt habt«, stellte der Papst fest.
»Und von dem Ihr uns befreien könnt. Ihr allein.«
Nikolaus zuckte die Schultern, indessen Balduin schwer atmete. Kein Kampf der Welt hatte ihm so zugesetzt wie dieser. Er wusste nicht, ob er im Laufe des Gesprächs einen Schritt weitergekommen war oder vielleicht sogar einen zurückgeworfen wurde.
»Wo ist Königin Judith, Graf Balduin?«, setzte der Papst an, und diesmal schien die Frage ehrlich gemeint, nicht Teil jener Floskeln.
Balduin zuckte zusammen, fühlte sich ertappt.
»Ich bin ihr Mann«, erklärte er fest. »Ich spreche für sie. So ist es
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