Das Geständnis der Amme
gefolgt sei, und gewahrte dann umso überraschter, dass es Johanna war.
Sie schien ihre Ankunft nahezu begierig erwartet zu haben, wiewohl sie doch ansonsten nie von sich aus ihre Nähe suchte.
»Was ist?«, fragte Judith knapp.
Der Mund der alten Frau war ausdruckslos, aber in ihren Augen glitzerte es triumphierend.
»Wo ist Balduin?«, fragte Judith, als Johanna ihr nicht antwortete.
Das Glitzern in den starren Augen verstärkte sich.
»Nicht hier«, sagte sie. »Brauchst ihn gar nicht erst zu suchen.«
»Hat er die Pferde …?«
»Die Pferde stehen wohlbehalten im Stall.«
»Aber wo ist er dann?« Judith wurde zunehmend ungeduldig.
»Wo denkst du denn, dass er sein könnte?«
Da begriff sie und erstarrte. »Das hat er nicht getan!«, rief sie und konnte die Beherrschung nicht wahren. Aller ärger, alle Verachtung, derer sie eben noch entschlossen abgeschworen hatte, entstellten ihr erhitztes Gesicht. Die Schöpfkelle fiel laut krachend zu Boden.
Ein seltenes Lächeln erschien auf Johannas Lippen. »Du scheinst nicht begriffen zu haben, dass er ein Mann von Ehre ist«, bemerkte sie kühl. »Glaub mir, er braucht kein Weib, um für diese einzutreten.«
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XXXI. Kapitel
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Balduin hatte erwartet, dass ihn im Lateran auf dem Caelius eine andächtige Stille erwarten würde – eine, die der Heimstatt des Papstes und solcherart einem heiligen Ort angemessen wäre. Doch während viele Straßen Roms wie ausgestorben waren, erwartete ihn hier mehr Leben, als die gnadenlos überfüllten Räume zu beherbergen taugten, ein stetes Summen und Lachen und Singen und Gezeter.
Der stadtrömische Adel, so wusste er, ließ seine Söhne für kirchliche Karrieren im Lateranpalast ausbilden, und bereits im Hof erwarteten ihn eine Menge aufgeweckter Kinder, die einen tobend, andere balgend, und verzweifelte Lehrer, die sie zu mäßigen suchten.
Hinzu kam das geschäftige Treiben all jener, die ihres Amts wegen etwas zu sagen hatten oder auf dieses Amt begehrlich hinarbeiteten: Notare, Kassenverwalter und Zeremonienmeister, Bibliothekare und schließlich junge Sänger der Schola Cantorum, die sich lärmend und ränkesüchtig in zu engen Gängen drängten. Nur einige Mönche und Priester legten jene stille, ehrfürchtige, für die Welt blinde Haltung an den Tag, wie Balduin sie von frommen Menschen wie Alpais kannte. Sie übersahen den Trubel, indem sie ungerührt hindurchschritten oder sich in Kirchen zurückzogen – entweder in die Kathedrale San Salvatore oder die Taufkapelle San Giovanni gleich neben dem Lateranpalast.
Finster schien dieser Palast, als Balduin ihn betrat. Seine Augen brauchten eine Weile, ehe sie sich an die dunstige Atmosphäre gewöhnt hatten. Staunend nahm er die Pracht wahr, fürdie die anderen Menschen hier längst blind geworden waren. Papst Leo III. – einer der Vorgänger des jetzigen Nikolaus – hatte kostspielige Prunksäle errichten lassen, mit mächtigen Marmorsäulen, die korinthische Kapitelle trugen, mit Balustraden aus massiver Bronze und Kronleuchtern, funkelnd von Edelsteinen und schimmernd von Gold. Bei den Vorhängen war nicht an den edelsten Stoffen wie Samt, Damast und Seide gespart worden. Zahlreich waren außerdem die Purpurteppiche, die die lauten Schritte auffingen. An den Wänden hingen kunstvolle Reliquienbehälter aus Edelmetall und mit Schmucksteinen besetzt.
Am kostbarsten ausgestattet war das
Triclinium,
der eigentliche Versammlungsort, mit seinen aufwändigen Mosaiken. In der Apsis war auf der einen Seite Christus zu sehen, wie er dem heiligen Petrus das
Pallium
– das Zeichen der apostolischen Würde –und Kaiser Konstantin wiederum das
Labarum,
die Kaiserstandarte, verleiht. Das zweite Mosaik, das den heiligen Petrus zwischen dem Papst und Karl dem Großen darstellte, verkündete eine ähnliche Botschaft: Der König war der Repräsentant der weltlichen Macht und als solcher Beschützer, nicht Beherrscher der römischen Kirche.
Heiliger Petrus,
so lautete die Inschrift,
gib Papst Leo das Leben und König Karl den Sieg.
Indessen Balduin noch ehrfürchtig staunte, zupfte jemand an seinem ärmel – jener Mann, der ihn zuvor unerwartet im Hospiz aufgesucht hatte. Er hatte seinen Namen nicht genannt, einzig seine Tonsur verriet, dass er zum Klerus gehörte. Das Ansinnen, das er hervorgebracht hatte, bekundete, dass er zum engsten Kreis des päpstlichen Hofstaates gehörte. Er könnte nämlich ihn, Balduin, gerne unauffällig zum Heiligen Vater bringen zwecks
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