Das Geständnis der Amme
Schutz vor den Dämonen«, antwortete er, »und ja, Judith, just in diesem Augenblick, da scheinst du mir glücklich und befreit. Warum nur … Warum bist du es nicht mit Balduin?«
»Wären wir hier in Rom, wäre ich es nicht?«, gab sie zurück. Sie versuchte, leichtfertig zu klingen, aber sie wich seinem Blick aus. Oft deuchte sie Wunibald als Schwätzer, dessen Leben ausschließlich um sich und seine eigenen Gelüste – nach Essen, nach Wärme, nach schöner Kunst – kreiste. Doch es gab Augenblicke, da sie ihn für einen ebenso guten Menschenkenner hielt wie sich selbst.
»Das zählt nicht«, sagte er da schon und setzte nachdenklich hinzu: »Kann es sein, dass du ihn zu viel büßen lässt?«
Rasch ging Judith ein paar Schritte, kämpfte mit sich, ob sie auf seine Worte eingehen sollte oder nicht. »Wofür sollte er denn büßen?«, fragte sie schließlich. »Was hat er denn getan?«
»Eben. Das ist es ja. Er hat dir nichts getan. Und doch, wann immer dein Wille und der seine auseinandergehen, ganz gleich, in welcher Sache, bekämpfst du ihn mit Grimm und Verachtung, als sähest du ihn am liebsten tot.«
Trotz der Hitze erbleichte sie. »Das stimmt nicht!«
»Natürlich stimmt es nicht. Du weißt doch, Königin, dass ich zur übertreibung neige. Doch ein Körnchen Wahrheit ist schon dran. Du bist nicht sonderlich geübt darin, auf Menschen zuzugehen und ihnen ihr Herz zu öffnen, vor allem dann nicht, wenn sie anders handeln, als du es für richtig hältst. Ich bin nicht der, der dich zu etwas drängen will. Aber nun, da die Reise vorbei ist und ihr gemeinsam vor dem Papst euer Anliegen durchkämpfen müsst – denkst du nicht, dass es an der Zeit wäre, ihm die Hand zu reichen, ganz gleich, wie sehr er dir jüngst missfallen hat?«
Wieder musste sich Judith zwingen, seine Worte nicht einfach rüde zurückzuweisen. »Ich wünschte«, brach es schließlich aus ihr heraus, »ich wünschte, er könnte endlich hinnehmen, wer ich bin – und dass mein Wesen ihm nicht fortwährend Kränkung verheißt.«
»Das ist dein gutes Recht, Königin«, sagte Wunibald. »Aber du solltest ihm zugestehen, dass diese Reise nicht minder an seinen Kräften gezehrt hat als an den deinen. Manches würde er nicht sagen oder tun – wäre er nicht restlos erschöpft.«
Judith schwieg nachdenklich.
»Also«, bedrängte er sie. »Wirst du auf ihn zugehen? Wirst du bereit sein, dich mit ihm zu versöhnen?«
»Ja«, meinte sie schließlich nicht ohne Widerwillen. »Ja, vielleicht sollte ich das tun.«
Der Weg zurück verlief still. Judith fühlte, wie Wunibald sie mehrmals von der Seite anstarrte, doch er enthielt sich weiterer Worte, entweder aus Anstrengung oder weil er ihr die Zeit der Besinnung gönnen wollte. Obwohl der Lärm um sie herum wieder zunahm – in den menschenreicheren Vierteln hallten nun die Laute quengelnder Kinder, schreiender Händler, kläffender Hunde –, hatte sie in der letzten Zeit selten mit einer derartigen Muße darüber nachdenken können, wie sie vor den Papst treten sollten oder was geschehen würde, wenn er sich auf die Seite des Königs stellte – und schließlich galten ihre Gedanken auch Balduin.
Auf sein oft trotziges Schweigen hatte sie stolz und ausdauernd reagiert, ja, sie hatte fast Freude an diesem stummen Kräftemessen gefunden, überzeugt davon, dass sie die Geübtere darin war und er ihr letztlich Recht geben würde. Doch nun, da sie den vorwurfsvollen Blick, den er ihr gegenüber stets aufgesetzt hatte, nicht vor sich sah, dachte sie an einen anderen Balduin – an jenen, der nicht gezögert hatte, ihr zur Flucht zu verhelfen, und der auch dann an diesem Entschluss festgehalten hatte, als er alles verlor.
Als sie in die Nähe des Hospiz kamen, sagte Wunibald immer noch nichts. Sie selbst unterbrach das Schweigen.
»Ich werde mich mit ihm aussprechen«, entschied sie.
Im Inneren des Gebäudes, das nach dem hellen Tag finster und trübe wirkte, schwappten ihr die Gerüche des Abendessens entgegen. Es schien nicht sonderlich appetitanregender zu sein als das erste Mahl.
Doch sie war ohnehin vor allem durstig, ging in den Hof, wo gerade einer der Knechte Wasser aus dem Brunnen schöpfte, und bat ihn, ihr mit der hölzernen Schöpfkelle davon zu geben. Beim Anblick des Wassers schien ihr die eigene Kehle noch trockener zu werden. Sie trank in gierigen Schlucken. Als sie die Kelle senkte, fühlte sie einen Schatten auf sich fallen, dachte zuerst, es wäre Bruder Wunibald, der ihr
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