Das Geständnis der Amme
gefangen hält.«
»Lieber Himmel, warum? Wie kann der Papst …?«
»So wie es aussieht, hat der Papst damit nichts zu tun. Ichnehme zwar an, dass er davon weiß und es duldet, aber er hat es nicht befohlen.«
»Aber wer denn dann?«
Er zuckte nur die Schultern und überließ es schließlich ihr, die Ahnung auszusprechen.
»Irgendein Geistlicher vom Hofe meines Vaters …«, setzte sie an.
»Das wäre eine Möglichkeit«, meinte Wunibald mit einem düsteren Nicken. »Es gibt genügend Westfranken hier in der Stadt, treue Diener von Hinkmar von Reims zum Beispiel, die mit aller Macht verhindern möchten, dass der Papst eine Ehe anerkennt, die Hinkmar als Auflehnung gegen Gott und König verstanden haben will. Auf der anderen Seite könnte es auch ein Mittelsmann von König Lothar gewesen sein. Du weißt, Königin, wenn deine Ehe mit Balduin gültig ist, wird alle Welt darauf pochen, dass es auch die zwischen Lothar und seiner ungeliebten Theuteberga ist.«
Judith rieb unruhig ihre Hände aneinander. »Lothar hat mich schon einmal verraten!«, stieß sie bitter hervor.
»Vielleicht«, gab Wunibald zu bedenken, »ist jener, der Balduin verschleppt hat, aber gar nicht von politischem Interesse getrieben, sondern von Geldgier. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass König Karl, dein Vater, bereit wäre, eine Art Lösegeld für ihn zu zahlen – so man ihn denn an ihn ausliefert!«
»Das darf nicht passieren!«
»Gewiss nicht«, setzte Wunibald traurig hinzu, »aber mir fällt nichts ein, womit du es verhindern …«
»Oh, mir schon!«, fiel Judith ihm entschlossen ins Wort. »Ich denke, ich habe lange genug abgewartet. Bring mich augenblicklich in den Lateran.«
»Aber was willst du …«
»Die Kirche ist seit jeher der Ort, wo Menschen Asyl suchen und finden. Ich will nicht hinnehmen, dass man sie entweiht, indem dort neuerdings Menschen überfallen und verschleppt werden. Der Papst selbst soll mir in die Augen sehen und mir versprechen,dass er alles daran setzen wird, um Balduins Verschwinden aufzuklären. Also, worauf warten wir?«
Wunibald zuckte unbehaglich die Schultern. Er warf einen Blick auf Johanna, die lautlos hinter Judith getreten war und sämtliche Worte belauscht hatte. Obwohl der Mönch es vielleicht gehofft hatte, widersprach sie nicht.
»Ja«, sagte sie kaum hörbar. »Ja, es ist richtig, wenn … du zum Papst gehst.«
Judith fuhr herum, bemerkte sie erst jetzt. Einen Augenblick starrten sich die Frauen an, zum ersten Mal in ihrem Trachten geeint.
»Es könnte schwierig werden«, warf Wunibald ein.
»Der Papst wird nicht wagen, mich abzuweisen«, sagte Judith fest, um sich selbst Mut zu machen, ehe sie mit Wunibald das Hospiz verließ.
Bruder Wunibald sollte Recht behalten. Der Papst war gar nicht erst bereit, Judith zu empfangen.
Wer sie war, hatte sich schnell herumgesprochen, desgleichen, wie sich die Geschichte von Balduins Verschwinden verbreitet und mit einigen schauerlichen Gerüchten verknüpft hatte. So tuschelten die einen, er würde längst Richtung Gallien gebracht, andere, dass der Geldbetrag noch nicht ausgehandelt wäre, den verschiedenste Parteien – ob jene von Hinkmar oder jene von Lothar – zu zahlen bereit wären. Wieder andere meinten, er würde in einem der unterirdischen Verliese hocken. Kaum erhob Judith freilich die Stimme, erstarb das Getuschel. Sobald sie um eine Audienz bat, stieß sie nur auf höfliches Schweigen, das mit jeder weiteren Stunde, da sie sich nicht abweisen ließ, frostiger wurde.
Lange gelang es ihr, die Fassung zu bewahren, doch schließlich brach es aus ihr hervor: »Wie kann man es wagen, so mit mir umzugehen! Ich bin eine geweihte Königin!«
Wunibald, der bis dahin treu an ihrer Seite verharrt hatte, zuckte unsicher die Schultern.
»Ich fürchte, die Menschen hier sehen das, was du getan hast, als weitaus größeren Verrat gegen diese Würde an als ihr eigenes Verhalten.«
Sie musste sich beherrschen, um ihn nicht grimmig anzufahren.
»Sollen wir zurückgehen?«, fragte er vorsichtig.
»Nein«, bekundete sie knapp.
Es wurde Abend. Im rötlichen Licht warfen die Säulen des Hofs lange Schatten. Im Inneren wurden die Lampen und Kronleuchter entzündet. Judith schien das Getuschel um sie nicht länger neugierig und aufdringlich, sondern zunehmend hämisch.
Eine Gruppe junger Männer – die Tonsur verriet, dass sie zum Klerus gehörten – nahm wie durch Zufall in der Nähe von ihr Aufstellung und beredete lautstark die
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