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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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jener schreckliche Laut, schmerzlich und klagend. Dann fühlte Judith, wie Johanna erneut nach ihr packte, sich ihr Griff verstärkte, als sie sie schüttelte wie zuvor, nur viel kräftiger. Judiths Kinn rammte sich schmerzhaft in ihre Brust. Und dann plötzlich … plötzlich waren Johannas Klauen an ihrem Hals, umschlossen ihn, ganz fest, immer fester, drückten zu. Judith fühlte, wie ihr die Luft knapp wurde, wie sie verzweifelt nach Atem japste, aber sie wehrte sich nicht, konnte sich nicht wehren. Jene Lebendigkeit, die sie eben noch berauscht hatte, schien nun allein Johanna zu gehören, während für sie nichts davon übrig blieb.
    Es tut gar nicht weh, dachte sie, indessen sich die ganze Welt rot färbte. Es tut gar nicht weh …
     
    Was dann geschah, nahm Judith wie in einem Nebel wahr. Auf einmal war Balduin im Raum, er hatte Johanna an den mageren Schultern gepackt. Doch auch als es ihm schließlich gelang, Johannas kräftige Hände von ihrem Hals zu lösen, hatte sie immer noch das Gefühl, sie würden sich enger und enger um ihre Kehle schließen und sämtliche Luft daraus pressen.
    Kurz versank alles in Schwärze, und das Einzige, was in deren Tiefe vordrang, war ihr eigener keuchender Atem. Als sie wieder zu sich kam, stand sie gebeugt und gewahrte, dass Balduin Johanna immer noch an beiden Händen gepackt hielt, gleichwohl sich jene bereits ergeben hatte, keinerlei Widerstand zeigte und nichts mehr mit der kräftigen, mordenden Frau von eben gemeinhatte. Sie schrumpfte zu einem Häufchen Elend. Nie war sie Judith so klein und mager vorgekommen – und nie hatte sie sie so weinen sehen, auf jene heisere, tränenlose, zitternde Art.
    Judith senkte bestürzt den Blick, und auch Balduin schien befremdet. Er ließ Johanna los, trat zurück, um dann jedoch verärgert zu rufen: »Bist du wahnsinnig geworden?«
    Seine Stimme erreichte Johanna nicht. Sie sackte in sich zusammen, vergrub den Kopf in ihre Hände, war gefangen und gebeutelt von einer Welt, der sie sich seit Jahrzehnten verwehrt hatte. Das Grauen, das sich auf ihrer Miene ausgebreitet hatte, paarte sich nicht länger mit Ungläubigkeit und Zorn, sondern mit tiefster Verzweiflung.
    »Bist du wahnsinnig geworden?«, schrie Balduin erneut.
    Judith wagte nicht, zu dicht an Johanna heranzutreten, sie gar zu berühren. Doch das Mitleid, das in ihr aufstieg, war frei von Furcht oder Anklage. »Lass sie in Ruhe«, sprach sie ruhig, »sie ist doch von Sinnen …«
    Erst als sie diese Worte an ihn richtete, nahm sie Balduins sonderbares Erscheinungsbild wahr. Sein Gesicht war ungesund gerötet – das konnte nicht nur von der Anstrengung rühren, Johanna von ihr losgerissen zu haben. Selbst der Hals war von vielen Flecken übersät, und seine Kleidung sah aus, als wäre er eben erst hineingeschlüpft und hätte noch keine Zeit gefunden, sie zuzubinden, die Fibeln zu schließen.
    Verständnislos starrte Judith ihn an; wie eben folgte ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit nur langsam. Gleichwohl ihre Augen sofort seinen Zustand erfassten, brauchten ihre Gedanken viel länger, um festzustellen, dass er nach Wein roch, dass er betrunken war. Und die Gestalt in der Türe – sie musste dort die ganze Zeit gestanden und zugesehen haben, ehe Judith herumfuhr und das Mädchen erblickte.
    Sie sah Madalgis an wie eine Fremde – und registrierte doch die verräterischen Spuren: Ihr Hemd war nur lose geschnürt, ihre Augen glänzten fiebrig, ihr Gesicht war von ähnlichen glühenden Flecken übersät wie das von ihm. Judith blickte wieder zu Balduin,der – kaum dass auch er Madalgis’ gewahrte – beschämt die Augen senkte.
    »Madalgis …«, stammelte Judith. Ihre Stimme verlor sämtliche Festigkeit. »Madalgis.«
    Immer schmaler wurden Madalgis’ Katzenaugen, und sie mochten den Triumph dennoch nicht verbergen, der sich darin ausbreitete.
    »Was hast du getan?«, fragte Judith. Es war nicht gewiss, an wen sie sich richtete. Balduin rang hilflos die Hände, schwankte –entweder dem Rausch erlegen oder von der Wucht der Anklage getroffen, die hinter ihrer Frage steckte. Madalgis hingegen trat ihr aufrecht entgegen.
    »Ich habe es für dich getan, meine Königin«, erklärte sie ebenso ernsthaft wie stolz, »nur für dich. Er war mir widerwärtig, so schrecklich widerwärtig. Seit ich damals meine Haare verloren habe und sie wieder gewachsen sind, habe ich keinen Mann mehr berührt. Aber ihn … Ich musste es tun, meine Königin, ich musste es tun …«
    Ein

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