Das Geständnis der Amme
gewährte ihnen keine neuerliche Audienz, und die Heerscharen an Priestern und Mönchen verfolgten das Paar mit Spott und Missgunst, wo immer sie auftauchten. Anfangs war Judiths Trotz groß genug, um gemeinsam mit Balduin die tägliche Messe zu besuchen. Doch der Triumph, nach außen hin nicht klein beizugeben, sondern die übliche stolze, königliche Haltung an den Tag zu legen, schmeckte alsbald schal – nicht zuletzt, weil Balduin zwar widerstandslos ihrem Wunsch folgte, jedoch auf eine ebenso unwillige wie zerknirschte Art, dass es ihr oft schwerfiel, ihrer Verachtung nicht nachzugeben. Jene schien in einer Atmosphäre des Ränkespiels und des Neids immer höher zu wachsen, und wenn sie des Nachts davon wachgehalten wurde, so wusste sie oft nicht mehr, womit sie haderte: mit Balduins Betrug oder mit der eigenen, stetig weiter wuchernden Verbitterung, die langsam auch die noch lichten Räume ihrer Seele verdunkelte.
Als Papst Nikolaus ihnen ausrichten ließ, sie könnten einen Legaten, den er demnächst in das westliche Frankenreich zu schicken gedenke, auf dessen Schifffahrt von Ostia nach Arles begleiten – solcherart bliebe ihnen auch die neuerliche mühevolle Alpenüberquerung erspart –, war sie ehrlich dankbar.
Rom verließ sie gerne. Der Einzige, von dem sie nicht ohne Wehmut schied, war Bruder Wunibald.
Am Tag des Abschieds berichtete er stolz, dass er in einem der vielen Klöster Roms fortan die Stellung eines
Cellerars
einnehmenwerde, wo er, da ihm die Verwaltung derselben unterliege, uneingeschränkten Zugang zu den Vorratskammern habe.
»Gib nur Acht, Bruder Wunibald«, spöttelte Judith, »die Wärme macht träge, und wenn du obendrein ständig deinem Appetit folgst, wird man dich bald durch die Straßen rollen können.«
»Lieber platze ich vor Gier als vor Wut oder Hader oder Verzweiflung über diese Welt«, gab er leichthin zurück. Dann wurde seine Miene ernst. »Denkst du noch an meine Worte, die ich dir gesagt habe?«
»Dass ich Balduin nicht zu viel büßen lassen soll?«, gab sie zurück. »Nun … diesmal gilt nicht, dass er mir nichts angetan hätte.«
Sie war sich nicht sicher, wie viel Wunibald wusste. Tatsächlich gab er sich nicht erstaunt, sondern sagte schlicht: »Gerade deswegen würdest du vielleicht leichter leben können, wenn du ihm vergibst. Ihm und dem Rest der Welt.«
»Wie nah hast du die Menschen je an dich herangelassen, dass du Vergebung lehren könntest?«
Er deutete mit einem schwachen Lächeln auf seinen Leib. »Und wenn ich’s wollte – es stünde doch ein viel zu fetter Wanst zwischen mir und dem Rest. Doch eben weil ich mich darin auskenne, kann ich dir nur sagen, Königin: An einem dicken Fell hat man oft schwer zu tragen – gleich, wie viel Schutz es auch verspricht.«
Sie zuckte die Schultern, rang damit, etwas dazu zu sagen, aber unterließ es dann. »Leb wohl, Bruder Wunibald«, sagte sie schlicht.
Er nickte. »Leb wohl, meine Königin. Gott begleite euch alle auf der Heimreise – und auch danach.«
Sie erreichten Ostia über den Flussweg. Am Hafen war es lauter, schmutziger und enger als in Rom. Zwar gab es viele edle Waren, die man auf Schiffe trug oder von dort holte – Stoffe, Gewürze und Waffen –, doch ebenso viel, was grässlich stank: Sklavenaus den Ländern der Sarazenen, Schafe, Ziegen und Kühe, bereits verdorbene Nahrungsmittel.
Der Hafen lag weit entfernt von der einstigen Stadt, die in den letzten Jahrhunderten ihren Niedergang erlebt hatte und mehrfach von den Sarazenen verwüstet worden war. Vor zwei Jahrzehnten hatte Papst Gregor IV., der ihr den Namen Gregoriopolis verlieh, zwar einen neuen Mauerring errichten lassen – und Papst Nikolaus folgte dessen Bemühen, Ostia zum Blühen zu bringen, indem er nach einem neuerlichen überfall der Sarazenen viele Gebäude wieder hatte aufbauen lassen –, doch aus Angst vor den Meerpiraten blieb die Stadt, bis auf den Hafen, großteils unbewohnt.
Der Lärm und die Gerüche des Hafens verebbten rasch, nachdem sie den Anker gelichtet hatten und sich immer weiter von der Küste entfernten. Judith stand am Heck, blickte zurück, sah Ostia zu einem kleinen, bunten Fleckchen werden, das schließlich endgültig aus ihrem Horizont schwand. Obwohl die See vermeintlich ruhig wirkte, fühlte sie ein sanftes Schaukeln. Sie blieb zwar von Übelkeit verschont, doch Schwindel setzte sich in ihrem Kopf fest. Als nichts anderes mehr um sie herum zu sehen war als das Meer, fühlte sie zwar
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