Das Geständnis der Amme
klagender Ton durchschnitt den Raum. Johanna, die ihn ausgestoßen hatte, war immer noch in sich versunken, sodass sie gar nicht zu bemerken schien, was rund um sie geschah. Ihr Körper bebte nun nicht mehr, sondern schaukelte sanft hin und her, als würde sie ein Kind in den Schlaf wiegen wollen.
»Was hast du getan?«, wiederholte Judith heiser.
Madalgis’ schmale Katzenaugen weiteten sich. »Er ist deiner nicht würdig, meine Königin!«, rief sie eindringlich. »Kein Mann ist das! Und das wollte ich dir beweisen. Die Männer sind schlecht, sie scheren sich nicht um uns Frauen, sie nutzen uns aus, und danach lassen sie uns fallen – und er ist genauso. Du darfst ihm nicht vertrauen, meine Königin. Es war so leicht, ihn zu verführen. Keinen Augenblick hat er gezögert, weil er doch meinte, du hättest seinen Stolz verletzt und er habe jedes Recht, es dir heimzu’zahlen. Und das zeigt doch, was er wirklich ist, ein …«
»Halt dein Maul!«
Balduin stürzte sich ähnlich entschlossen auf Madalgis wie zuvorauf Johanna, packte sie an den Händen und zerrte sie zurück.
»Halt dein Maul!«, forderte er wieder und zwang sie in die Knie. »Eben noch hast du mir schöne Worte gemacht – und jetzt das?«
»Es war so leicht, dir etwas vorzumachen. Wann hättest du jemals darüber nachgedacht, aus welchem Grunde Frauen sich dir an den Hals warfen?« Madalgis’ Stimme troff vor Verachtung, während Balduin nur noch fester an ihren Haaren riss. »Siehst du, meine Königin, wie er in Wahrheit ist? Wie roh, wie tumb und wie herzlos?«, schrie Madalgis. »Siehst du es? Kein Mann ist deiner würdig! Und er schon gar nicht!«
Dann begann sie zu lachen, ebenso außer sich und trocken, wie Johanna schluchzte.
Die Welt ist verrückt geworden, urteilte Judith, um irgendwelche Gedanken zwischen sich und die schrecklichen Laute zu schieben. Doch sie minderten nicht deren Wirkung – genauso wenig, wie sie sie vor Balduins Anblick bewahrten, der sie beschämt und trotzig ansah, um Verständnis heischend und zugleich verstockt.
Unwillkürlich dachte Judith an den Sturm in den Alpen, als viele kleine Schneenadeln in ihr Gesicht gestochen hatten und der Atem in ihrer Brust zu gefrieren schien. In diesem Augenblick fühlte sie sich ähnlich.
»Judith …«, setzte Balduin an.
Der Wein schien ihn nicht länger zu berauschen, sondern zu schmerzen. Er kniff seine Augen zusammen. Madalgis nutzte den Moment seiner Schwäche, riss sich von ihm los und stürzte auf Judith zu, um sich vor ihr auf den Boden zu kauern.
»Du verstehst doch, warum ich es tun musste, Königin?«, fragte sie. Es klang nicht mehr triumphierend, nur mehr ängstlich. »Du verstehst mich doch?«
»Es ist gut, Madalgis«, murmelte Judith kraftlos, beugte sich nieder und bedeutete dem Mädchen aufzustehen. Sie zögerte nicht, sie zu berühren, doch als Madalgis ihrem Befehl folgte, wich sie augenblicklich vor ihr zurück.
»Judith …«, stammelte Balduin wieder.
Sie sah ihn an. Sie konnte ihre Verachtung bezähmen, die Kälte nicht. Sie schien sie von innen her auszuhöhlen, ließ sie erstarren und den Blick gefrieren.
»Geh mir aus den Augen!« Ihre Worte glichen einem giftigen Hauch. »Geh mir aus den Augen, du verfluchter Hurensohn!«
Am Sonntag nach der morgendlichen Messe ließ der Papst Judith und Balduin zu sich bitten. Diesmal begegneten sie Nikolaus nicht in seinen persönlichen Räumen, sondern im
Triclinium.
Er thronte in der Mitte, war umgeben von seinem Klerus, und er blickte sie beim Reden kaum an.
Knapp erklärte er, dass ihre Ehe gültig sei, weil sie aufgrund von freiem Willen, nicht von gewaltsamem Brautraub zustande gekommen sei. Diese überzeugung werde er Judiths Vater, König Karl, in einem offiziellen Schreiben mitteilen, Gleiches gelte für Bischof Hinkmar von Reims. Damit waren sie entlassen.
Balduin reagierte nicht sogleich. Das Treffen mit dem Papst war derart kurz, beschränkte sich auf so wenige Sätze, dass er glaubte, es müsse doch noch etwas Wesentliches passieren. Er verbeugte sich erst, als ihm einer der Kleriker ungeduldig zuwinkte – wie einem Dienstboten, den man schnellstmöglich verscheuchen will, auf dass er dem gestrengen Herrn nicht lästig fällt.
Diesmal begleitete sie kein Getuschel. Schweigen breitete sich im Prunksaal aus – so wie es fortan zwischen Judith und Balduin herrschte.
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XXXIV. Kapitel
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Judith war erleichtert, zwei Wochen später der Ewigen Stadt entfliehen zu können. Der Papst
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