Das Geständnis der Amme
all die Jahre davongelaufen.«
»Sprich es nicht aus!«
»Was könnte schlimmer sein, als zu erleben, wie der eigene Säugling in die Flammen geworfen wird? Was?«
»Sprich es nicht aus!«, kreischte Johanna
»Das Einzige, was noch schlimmer sein könnte, als zusehen zu müssen, ist … es selbst getan zu haben.«
Wieder ging Johanna auf sie los, hieb ihre Hände in die Schultern der anderen. Judith konnte die spitzen Nägel fühlen; sie glichen den Klauen von Vögeln, drangen durch ihr Kleid, vielleicht sogar durch ihre Haut und ließen sie bluten. Doch der Schmerz war nicht unangenehm, er vergrößerte nur diese unerwartete, berauschende Lebendigkeit.
»Du verdammte, verdammte Lügnerin!«, schrie Johanna und schüttelte sie.
Judiths Kopf schlug vor und zurück. »Ich bin keine Lügnerin. Ich spreche die Wahrheit aus. Und du weißt das.«
»Du verstehst es nicht, du verstehst es einfach nicht. Du denkst, ich bin grausam, noch grausamer als die wilden Tiere, aber ich musste es tun! Es blieb mir doch keine Wahl! Hörst du? Ich musste es tun!«
»Du bist mir keine Rechenschaft schuldig! Ich werde ganz gewiss nicht über dich urteilen. Ich habe nichts anderes getan als … es ausgesprochen.«
Kurz lockerte sich der Griff der Klauen, und Judith entzog sich ihnen rasch, wandte sich ab.
»Hör mir zu!«, rief Johanna, und es klang nicht mehr wütend, sondern jämmerlich. »Ach, hör mir doch zu! Ich habe mein Kind nicht getötet, nein, das habe ich nicht getan! Nie, nie, nie wäre ich dazu imstande gewesen. Aber sie haben es einfach fallen lassen. Diese Männer … die rohen Tiere … sie haben es an seinen Füßchen aus dem Bettchen gerissen, haben es geschüttelt, als wollten sie sehen, wie laut es schreien könnte. Aber es konnte nicht schreien. Es hat nur gequäkt, und dann haben sie es einfachzur Feuerstelle hingeschleudert, wie ein Stück Fleisch, das man zu braten gedenkt. Ich … ich habe es gesehen, ich habe mich als Einzige verstecken können. Alle anderen sind am helllichten Tag von dieser Horde einfach überrannt worden, es blieb keine Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen. Aber ich, ich war noch zu schwach, um zu schuften, ich lag noch im Wochenbett. Und als ich es hörte, den Lärm, das Töten, das Feuer, da habe ich mich verkrochen … in einer dieser Mulden, wo wir Gemüse und Obst verwahrt haben. Durch eine Ritze habe ich es gesehen … wie sie mein neugeborenes Kind einfach zur Feuerstelle geschleudert haben.«
Ihre Wangen waren nass, aber das Schluchzen erreichte nicht ihre Stimme. Immer noch jämmerlich klang sie, immer noch gequält, aber nicht mehr besinnungslos.
»Es hat noch gelebt«, stellte Judith ruhig fest; die Hände der Alten, die jene nun hilflos rang, ekelten sie nicht mehr. »Als sie weg waren und du aus deinem Versteck gekrochen bist, da hat dein Kind noch gelebt.«
Johannas Blick schien in Tränen zu zerlaufen. »Sie haben das Haus über meinem Kopf angezündet. Es hat gebrannt, es war alles voller Rauch. Er trieb mir Tränen in die Augen, ich konnte kaum etwas sehen. Aber hören … ich habe mein Kind gehört. Es hat gewimmert, als die Flammen an ihm leckten. Sie haben es fast getötet, aber es hat noch gewimmert … Es hat sich noch bewegt … Ich bin hingestürzt, ich habe es hochgehoben – und als ich es ansah, wusste ich, dass es nicht überleben würde, dass die Verletzungen zu schlimm waren. Es wird in meinen Armen sterben, dachte ich. Aber wenn ich zu lange warte, dann werde ich mit ihm sterben. Solange es lebt, werde ich keinen Schritt tun können. Ich werde wie erstarrt stehen, bis das Haus über mir zusammenbricht. Und selbst wenn ich es gemeinsam mit dem Kindlein ins Freie schaffen könnte … Ich würde ja doch nicht fliehen können, mich in Sicherheit bringen. Nicht, solange es lebte. Nein, nicht, solange es lebte. Aber es würde nicht lange leben. Es war viel zu schwach dazu, viel zu verletzt!«
»Da hast du es einfach fallen lassen.«
»Ich habe es nicht fallen lassen … Es ist mir … einfach entglitten. Es war schon nicht mehr von dieser Welt. Ich dachte, es wäre nur gnädig, wenn es so rasch wie möglich stürbe. Ich dachte, es wäre meine einzige Rettung. Nur auf diese Weise konnte ich … davonlaufen. Immer weiter. Immer weiter.«
»Und so hast du es bis nach Laon geschafft.«
Johanna erstarrte, alles in ihr schien zu erstarren. Nun versiegten ihre Tränen, ihr Blick wurde nicht nur hart, sondern dunkel, fast schwarz. Wieder entrang sich ihr
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