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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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keine Angst vor den Abgründen, die in der Tiefe der blauen Wasser lauern mochten, jedoch tiefe Traurigkeit.
    Vielleicht hatte Bruder Wunibald Recht, überlegte sie, vielleicht ließ es sich unter einer hellen, warmen Sonne leichter leben als in jenem oft so kalten Land, das ihre Heimat war – eine Heimat, die sich jetzt mit keinen Bildern verband, keinen Erinnerungen, zumindest nicht mit solchen, derer man sich gern besinnt. Die Zeit in Senlis schien wie ein graues Loch in ihrer Vergangenheit, und die Flucht, die dann erfolgt war, beschwor keine Bilder von Wäldern, Wiesen und Straßen herauf, sondern einzig das von Balduins Gesicht – jedoch nicht mit seinem damaligen Ausdruck, vielmehr so, wie er ihr zuletzt vor die Augen getreten war.
    Judith zuckte zusammen. Sie hatte nicht gemerkt, dass Johannazu ihr getreten war, mit schleppenderen Schritten als früher, gekrümmt, obwohl sie ihren oftmals steifen Gliedern doch ansonsten stets die aufrechte Haltung befahl.
    Sie begann mit dem Eigentlichen – ganz ohne Einleitung, ganz ohne vorfühlende Worte. »Es ist nicht nur seine Schuld«, sagte sie. »Auch Madalgis hat das ihrige dazu beigetragen … Ich weiß, dass du sie magst … aber ihre Seele scheint nicht gesund zu sein.«
    Judith starrte auf das Wasser. Dort, wo es vom Schiffsbauch durchschnitten wurde, schäumte es weiß. »Du redest mit mir?«, fragte sie kühl. »Ich dachte, dir steht der Sinn danach, mich zu töten.«
    Johanna schwieg, und kurz hoffte Judith, es möge gleich wieder die alte Johanna zum Vorschein kommen, ohne Entgegenkommen und Freundlichkeit, verbissen und stur, gefestigt in Verachtung gegen sie. Nicht, dass es immer angenehm gewesen wäre, diese Johanna zu ertragen. Doch in einer oft so fremden, undurchschaubaren Welt deuchte sie Johannas Hass als das einzig Zuverlässige – wenn sie doch sonst auf nichts setzen konnte, vor allem nicht auf Balduins Treue.
    Aber Johanna überraschte – und verwirrte – sie.
    »Vergib mir«, sagte sie schlicht. Es klang weder nach Unterwerfung noch nach Hohn. Knapp und bündig und ehrlich schien es. Judith fuhr herum, blickte der alten Frau erstaunt ins Gesicht, konnte kaum glauben, dass dieser harte Blick sich nicht mehr in sie bohrte, vielmehr verloschen schien, die Augen irgendwie sogar mitfühlend glänzten. Johanna spürte wohl ihre Verwirrung. »Ich war nicht bei mir«, setzte sie hinzu. »Ich war es vielleicht all die Jahre nicht.«
    Judith merkte, wie ihre Lippen erzitterten, presste sie aber augenblicklich fest aneinander. Hastig wandte sie sich wieder ab. »Wie merkwürdig«, stieß sie hervor, »dass du ausgerechnet jetzt den Frieden mit mir suchst. Wo es doch zu spät ist.«
    »Es ist nicht zu spät. Du hast mich dazu gebracht, endlich die Wahrheit zu bekennen. Jetzt verschließ du dich nicht vor ihr.«
    »Vor welcher Wahrheit?«, begehrte Judith auf, heftiger, als sie wollte. Fast kleinlaut setzte sie hinzu: »Ich bin zu … stark, zu eigensinnig für Balduin. Er erträgt mich nicht.«
    Johanna zuckte die Schultern. »Wer die Menschen eingehend betrachtet, wird immer auch auf das Schlechte in ihnen stoßen. Und wer es so lange und so ausdauernd tut wie du, wird besonders viel von diesem Schlechten ans Tageslicht zerren. Aber in ihm steckt so viel mehr als das, was dich mit ihm hadern lässt. Auch das musst du sehen.«
    Judith hörte nicht, wie Johannas Schritte sich entfernten, und glaubte, sie stünde noch neben ihr. Doch als sie sich nach einer Weile umdrehte, erneut einen Blick auf ihr Gesicht werfen wollte, da war sie fort, und ihre Worte waren schon lange verklungen, sodass Judith kurz daran zweifelte, ob es dieses Gespräch jemals gegeben hatte.
     
    Als sie nach Laon kamen, erwartete sie jene zögerliche Stille, die sich seinerzeit auch über die Stadt gesenkt hatte, als Judith und Balduin nach ihrer Flucht dort eingetroffen, aber vom Grafen nicht empfangen worden waren. Nun waren es nicht Misstrauen und Scheu ihnen gegenüber, die diese bedingten, sondern Trauer.
    Alpais war gestorben. Es hieß, auf jene stumme Weise, wie sie gelebt hatte. Sie hatte Schmerzen in den Beinen verspürt und war irgendwann nicht mehr aufgestanden. Weil sie immer so still war, hatte es Wochen gedauert, bis man überhaupt bemerkte, dass sie nicht mehr ihre Runden im Hof machte, um dort zu beten. Niemand vermisste sie, und doch gab man jede Neuigkeit über ihr Wohlbefinden eilig weiter. Die Nachrichten blieben lange Zeit gleich: Sie fühle sich schwach, sie

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