Das Gewicht der Liebe
Klassenzimmer voller harter Fälle in den Griff bekam, und ihre Meinung bedeutete Roxanne viel. Es war eine enorme Erleichterung, über Ryan zu reden, seine Geschichte nicht in ihrem Inneren zu begraben, wo sich bereits so viele ungelöste Probleme stapelten.
»Rox, wenn du mal die abgehobene Sprache weglässt, ist Cyrano dann nicht einfach ein Stück über geringes Selbstwertgefühl und dass man lernen soll, für seine eigenen Belange einzutreten?«
»Du meinst also, es ist perfekt für Achtklässler.«
»Ich bin ganz geblendet von meiner eigenen Brillanz.«
Sie lauschten dem Lärmen der Kinder, die wie immer – sofern es das Wetter zuließ – draußen an den im Freien aufgestellten Esstischen hockten und aßen. Elizabeth er kundigte sich nach dem Wochenende am Huntington Lake, und Roxanne berichtete ihr die grausigen Einzelheiten, bis ihr Handy in den Tiefen ihrer Handtasche klingelte. In der Hoffnung, es sei Ty, warf sie einen raschen Blick auf das Display, doch als sie die Nummer sah, ließ sie es durchklingeln und hörte sich die Nachricht an.
»Das war Merell. Ich soll den Direktor fragen, ob ich früher gehen kann. Simone hat die Nanny gefeuert.« Roxanne legte die Stirn auf das Pult. »Ich halte das nicht mehr aus.«
Selbst wenn sie die Verantwortung für die Duran-Familie übernehmen wollte – was nicht der Fall war –, könnte sie das niemals tun, ohne ihre Ehe zu gefährden.
Trotz Elizabeths oft wiederholter Überzeugung, es wür den jeden Tag Wunder geschehen, stand Roxanne Wundern skeptisch gegenüber. Elizabeth glaubte an so viele abstruse Dinge: Auren und geführte Träume, Engel und geistige Führer, ungewöhnliche und unwahrscheinliche Ereignisse, die durch Planetenkonstellationen oder die Hand eines unsichtbaren Gottes herbeigeführt wurden. Über die meisten dieser Dinge konnte Roxanne nur lachen, auch wenn sie sich andererseits das Glück, Ty begegnet zu sein, selbst nur als Wunder erklären konnte: Zwei völlig unterschiedliche Menschen, die sich irgendwie, trotz aller Unwahrscheinlichkeit, getroffen hatten, um zu entdecken, dass sie perfekt zusammenpassten. Ein alltägliches Wunder. Gezwungen, sich zwischen ihrer Schwester und einem Wunder zu entscheiden, musste sie Ty wählen. Andernfalls würde sie der Zukunft den Rücken zukehren und damit auch der Hoffnung, dem Lachen und allen guten Dingen. Doch am See hatte sie erlebt, wie angespannt und gefährdet Simones familiäre Situation war, und es war undenkbar, dass sie ihre Schwester und Nichten im Stich lassen würde, wenn deren Not so groß war. Sie würde einen Weg finden, um alle zufriedenzustellen.
Sie entsann sich Merells aufgeregtem Geschnatter im Flugzeug, ihrer atemlosen Führung durch das Anwesen und wie sie auf den Pedalen ihres Fahrrads gestanden hatte und über die überflutete Straße geholpert war.
»Sie ist so ein bedürftiges Kind.«
»Achtung, Rox, sie sind alle bedürftig.« Elizabeth stand auf und fegte ein paar Krümel von der Vorderseite ihres Jeansrocks. »Aber es ist dein Leben. Du kannst entscheiden, ob du kopfüber in diese verdammte Bresche springst oder ob du dich raushältst. Wie immer du dich entscheidest, ich bin deine Nachhut.«
Deine Nachhut. Die Truppe, die dir Rückendeckung gibt. Die militärische Ausdrucksweise erinnerte Roxanne daran, dass Elizabeth genügend eigene Probleme hatte. Die Nachrichten von ihrem in Afghanistan stationierten Mann tröpfelten nur spärlich ein. »Ich bin bestimmt die schlechteste Freundin der Welt, Lizzie.«
»Blödsinn. Die Ehre des schlechtesten Freundes der Welt gebührt wohl eher Dick Cheney. Du hast immerhin noch nie versucht, mich zu erschießen.«
»Hast du was von Eddie gehört?«
»Dasselbe wie immer. Nichts. Gestern Abend habe ich einen Anruf von seinem Freund Calvin erhalten. Eddie lässt mir ausrichten, dass er in Sicherheit ist, aber im Moment keinen Zugriff auf ein Telefon oder einen Computer hat.« Sie senkte den Blick auf Roxannes Pult. »Mir ist gerade etwas bewusst geworden. Bei Eddie verhält es sich genau umgekehrt wie bei diesen Kindern, Merell und den anderen. Sie benötigen dringend Aufmerksamkeit, wohingegen Eddies Leben davon abhängt, dass man ihn nicht bemerkt.«
Roxanne verließ die Schule kurz nach dem Schlussgong, parkte ihren Wagen an der Seite von Simones Haus und ging um das Haus herum zur Terrasse. Zu ihrer Überraschung entdeckte sie unten am Pool Johnny mit den Zwillingen. Sie winkte ihm zu und ging ins Haus, wo sie auf Simone
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