Das Gewicht der Liebe
verstehe etwas ganz genau. Ich weiß es.«
Nach einem Wochenende zwischen Manie und Depression hatte sich Simone nun auf eine Haltung unerschütterlicher Gewissheit eingependelt, die jede Argumentation sinnlos machte.
»Mit dem heutigen Tag wird sich alles ändern.« Rote Flecken erblühten auf ihren Wangen. »Als Erstes werde ich Johnny mitteilen, dass ich kein verdammtes Baby mehr kriegen werde. Ich wollte damit aber warten, bis du da bist. Falls er beschließen sollte, mich umzubringen.« Sie lachte.
Nervös, dachte Roxanne.
»Außerdem habe ich in einer Klinik angerufen und einen Termin ausgemacht. Für eine Abtreibung.« Sie blick te so zufrieden drein wie ein Kind, das nach Wochen schlechter Noten plötzlich eine Eins schreibt. »Ich muss vorher mit einem Berater sprechen, deshalb brauche ich dich morgen früh, damit du mich hinfährst und wieder nach Hause bringst. Ein Taxi kann ich nicht nehmen. Ich brauche deine moralische Unterstützung. Und wenn alles vorbei ist, werde ich Johnny erzählen, ich hätte eine Fehlgeburt gehabt, und er wird es nie erfahren.«
Erwartungsvoll sah sie Roxanne an.
»Und ich werde die Pille nehmen.« Sie lachte erneut. Spannungsgeladen, gefährlich. »Ich werde sagen, es sind Vitamine. Für meine Haare.« Noch mehr Gelächter.
»Wie weit bist du?«
»Keine Ahnung. Das Bild war so deutlich, dass der Arzt meinte, wir hätten uns womöglich verrechnet.«
»Fünfter Monat?«
»Irgendwas um den Dreh.«
»Hast du ihnen das am Telefon erzählt?«
»Wem?«
»Den Leuten von der Klinik.«
Simone zog eine Schnute. »Du willst nicht, dass ich es mache.«
»Ich sage lediglich, dass du ziemlich weit fortgeschritten bist, Simone.« Vor dem Fenster sah Roxanne die im Sonnenlicht glitzernden Wassertropfen der Sprenkelan lage, die sich in einem Regenbogen über die Wiese ergossen, blitzend wie die Aura einer Migräne. »Das ändert die Sachlage.«
»Fünf Monate ist gar nichts.«
»Es sind Finger und Zehen, Simone.«
»Du glaubst an das Recht der freien Entscheidung. Ich kenne dich, Rox, du spendest Geld an Pro Familia.«
»Das stimmt, aber du bist weder achtzehn Jahre alt noch unverheiratet.« Und Johnny war kein Drogenabhängiger, kein Betrüger, kein Unterhaltspflichtverweigerer. Er liebte seine Frau und seine vier kleinen Mädchen. »Er muss in diese Entscheidung mit einbezogen werden. Dasselbe wird man dir auch bei der Beratung sagen.«
»Ich habe erzählt, ich bin Single. Geschieden.«
»Er hat ein Recht …«
»Und was ist mit mir? Warum redest du nicht über meine Rechte? Roxanne, er wird das nie zulassen.« Ihre Stimme wurde höher, barst zwischen ihnen wie Glas. »Abtreibung ist für ihn Mord.«
»Das mag sein, trotzdem kannst du ihn nicht ein fach …«
Der Türknauf ruckelte. »Simone? Was geht da drinnen vor?«
»Ich bin deine Schwester«, zischte Simone, während sie zur Tür ging und aufsperrte. »Das schuldest du mir.«
Simones Arbeitszimmer war klein, und Johnny war ein großer Mann. Mit drei langen Schritten stand er mitten im Zimmer. »Du musst dich ankleiden, Simone. Wir gehen heute Abend aus, schon vergessen?« Seine Augenbrauen gruben eine Gletscherspalte zwischen seine Augen. »Einen großartigen Tag hast du da gewählt, um Franny rauszuschmeißen. Ich wette, du hast noch nicht daran gedacht, einen Babysitter zu organisieren.«
Simone blinzelte, blickte zu Roxanne und wieder zurück zu Johnny. »Du kannst ohne mich gehen.«
»Herrgott, Simone, es ist das Judge Roy Price Dinner. Wir sitzen am Tisch des Bürgermeisters.«
»Er wird mich bestimmt nicht vermissen.« Ihre Hände flatterten nach oben. »Du bist es doch, den sie alle so gern mögen.«
»Mag sein, aber nach Merells kleinem Streich neulich möchte ich dich an meiner Seite haben, damit die Gerüchteküche gar nicht erst losgeht.«
»Ich fühle mich nicht gut.«
»Na und? Du fühlst dich nie gut.«
Roxanne nahm ihre Handtasche und ging zur Tür. Johnny legte die Hand auf ihre Schulter, um sie aufzuhalten.
»Könntest du vielleicht einspringen, Rox? Wir sind bis um elf zurück, versprochen.«
»Frag Mom.«
»Die Kinder würden sich riesig freuen. Ruf Ty an und sag ihm, er soll auch kommen. Im Kühlschrank sind super Steaks. Du willst wohl, dass ich dich bezahle, was? Hey, du bist eine Professionelle, schon kapiert.«
»Beleidige mich nicht, Johnny.«
Verdutzt durch ihren Ton und dann gekränkt, blickte er zu Boden. Roxanne beobachtete, wie sich sein Blick auf das Ultraschallbild im
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