Das Gewicht der Liebe
überzeugen kann, dass sie nur ein paar Wochen zuvor versucht hat, Olivia zu ertränken …«
»Das ist ein Haufen Scheiße!«
Ellen hatte Johnny schließlich die Wahrheit über jenen Tag erzählt. Er hatte ihr nicht geglaubt.
Cabot sagte: »Jackson wird froh sein, wenn er einfach nur den Verdacht eines Vorsatzes in den Köpfen der Geschworenen aufkeimen lassen kann.«
Johnny sank auf das Bürosofa, den Kopf gesenkt, die Ellbogen auf die Knie gestützt.
»Es wird alles getan werden, um Merell zu schützen«, versicherte ihm Cabot. »Bei allen Vorgesprächen und Aussagen wird ein vom Gericht bestellter Sozialarbeiter anwesend sein, um ihre Rechte zu schützen. Jackson ist ein guter Anwalt, und ich traue ihm nicht zu, dass er versuchen wird, sie einzuschüchtern, aber falls doch, so wissen wir, dass jemand bei ihr ist. Sie wird nicht allein sein.«
Johnny sprang auf und begann wieder rastlos herumzutigern, sein Gesicht vor Frustration verzerrt. Roxanne hatte ihn noch nie so gesehen, und sein verändertes Verhalten war im Vergleich zu seinem üblichen Imponiergehabe eine gewisse Genugtuung. Er war es gewohnt, alles zu bekommen, was er wollte, jeden Kampf aufgrund von Geld und Einfluss zu gewinnen. Mit Ohnmacht wusste er nicht umzugehen.
Cabot sagte: »Merell ins Spiel zu bringen ist eine interessante Taktik.«
»Interessant?« Ein Schweißtropfen glitt hinter Johnnys Ohr hervor, rollte an seinem Hals hinunter und verschwand unter seinem Hemdkragen. »Mir kommt es eher wie Kinds missbrauch vor.«
»Jackson geht ein Risiko ein. Alles wird davon abhängen, wie die Jury auf sie reagiert. Merell ist keine verlässliche Zeugin, und wenn Sie mich fragen, wird er sich das zunutze machen. Sie hat gelogen …«
»Sie ist keine Lügnerin«, sagte Johnny.
»Sie hat der 911-Leitstelle eine Geschichte erzählt und der Polizei eine andere. Eine der beiden Versionen war eine Lüge.«
»Sie war durcheinander. Das ist alles.«
»Wie auch immer.« Cabot zuckte die Achseln, und Roxanne vermeinte, Mitleid in seiner Miene zu erkennen, als er Johnny ansah. »Jackson wird versuchen, die Jury davon zu überzeugen, dass sie gelogen hat, um ihre Mutter zu schützen.«
»Ich werde mit ihr sprechen, wir werden ihre Geschichte ein für alle Mal richtigstellen.«
»Nein. Das werden Sie nicht tun.« Cabot ging mit großen Schritten durch das Büro und blieb vor Johnny stehen. »Setzen Sie sich hin und hören Sie mir zu.«
Roxanne konnte sehen, dass Johnny widersprechen wollte.
»Von jetzt an«, sagte Cabot, seine Autorität auf eine Art ausspielend, die Johnnys Einwände erstickte, »wird es in Ihrem Haus mit niemandem in Ihrer Familie Gespräche geben, die auch nur annähernd mit diesem Fall zu tun haben, denn wenn auch nur der leiseste Verdacht aufkommt, dass Sie versucht haben, die Zeugin der Staatsanwaltschaft zu beeinflussen …«
»Erzählen Sie mir gerade, dass ich mich nicht mehr mit meiner eigenen Tochter unterhalten darf?«
»Es ist strafbar, Johnny.« Roxanne setzte sich neben ihn auf das Sofa und legte die Hand auf seine Schulter. Sie erschrak über die Hitze, die sein Körper ausstrahlte, und über die jähe Zärtlichkeit, die sie überkam. »Du könntest dafür ins Gefängnis kommen.«
»Wenn Sie einen Zeugen beeinflussen, können Sie jede Chance für Simone vergessen. Falls Sie Ihre Frau zwanzig Jahre hinter Gitter bringen möchten, dann wäre das der beste Weg.«
»Ist ja gut, ist gut.«
Roxanne erkannte, dass Johnny bis zu diesem Augenblick die Situation missverstanden hatte. Er hatte geglaubt, er habe die Leitung inne und Cabot sei lediglich dazu da, seine Wünsche auszuführen, aber nun war er gezwungen, sich unterzuordnen, sich jemand anderem zu fügen, und das schmerzte ihn. Roxanne sah, wie er das Gesicht verzog.
Im Gerichtssaal war es eisig und klamm, als Merell am Nachmittag des dritten Verhandlungstags in Begleitung einer Gerichtsdienerin durch den Hauptgang der Zu schauerreihen ging und, an der Schranke vorbei, in den Zeugenstand trat.
Als Roxanne morgens aus dem Haus gegangen war, hatte sie drei Krähen gesehen, die auf dem Zweig eines Eukalyptusbaumes hockten. Sie schienen das Haus zu beobachten wie ein Trio düsterer Mönche, bedrohlich still und unheimlich. Ein Omen, hatte sie gedacht, und zwar kein gutes.
Merell wirkte größer und knochiger als noch vor ein paar Tagen, als Roxanne sie das letzte Mal gesehen hatte. Ihr Pony war zu kurz geschnitten, betonte die Aufwärtskrümmung ihrer Nase und
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