Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gewicht der Liebe

Das Gewicht der Liebe

Titel: Das Gewicht der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Campbell Drusilla
Vom Netzwerk:
verlieh ihr ein wenig das Aussehen eines armen Waisenkindes. Ihr störrisches Haar war zu einem, für Merells Verhältnisse, ordentlichen Pferdeschwanz zurückgebunden. Sie trug ihre Arcadia Schuluni form, Spangenschuhe mit flachem Absatz und Kniestrümp fe. In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Sturheit, als sie ihren Eid ablegte und ihren Namen sagte. Als Roxanne sie dort im Zeugenstand stehen sah, so verwundbar und gleich zeitig so leidenschaftlich, wie kleine Mädchen es sein kön nen, spürte sie, wie in ihrer Brust etwas nachgab, als würden die Muskeln, die ihr Herz an seinem Platz hielten, langsam zerreißen.
    »Und wie alt bist du, Merell?«
    »Neun.«
    »Auf welche Schule gehst du?«
    »Arcadia Academy.«
    Nach jeder Antwort straffte Merell die Schultern und schloss den Mund zu einem festen, geraden Strich, der sie Gran so ähnlich machte, dass Roxanne sich bei der aberwitzigen Hoffnung ertappte, der Geist der alten Frau möge im Gerichtssaal gegenwärtig sein und ihrer Urenkelin etwas von ihrer Stärke abgeben. Es war ein Gedanke, der zu Elizabeth gepasst hätte.
    »In welcher Klasse bist du?«
    Merell blickte starr geradeaus, fixierte die Mitte von Clark Jacksons rot-schwarz karierter Krawatte.
    »In der Upper Primary.«
    »Das wäre dann die vierte Klasse, richtig?«
    »Ja.«
    »Hat man dich auf der Arcadia den Unterschied zwischen richtig und falsch gelehrt?«
    »Ich glaube schon.«
    Sie musste Angst haben, was sie jedoch gut verbarg. Vor zwei Tagen war mit der Post ein Brief gekommen, adressiert an Roxanne in der sorgfältigen Schönschrift eines Viertklässlers. In dem Kuvert hatte sich ein Blatt Papier befunden, auf dem ein einziger Satz stand: Ich hasse ihn . Es gab keinen Absender, keine Unterschrift. Merell würde sich nicht von Clark Jackson einschüchtern lassen. Sie würde ihm zeigen, wie zäh sie war. Roxanne wünschte, sie könnte Merell warnen, bevor die Verhandlung weiterging. Jackson ist gefährlich, würde sie ihr gern sagen. Sieh dich vor, kleines Mädchen.
    Jackson ging ein paar Schritte auf und ab. »Kannst du dem Gericht schildern, was genau in der ersten Woche des Septembers 2009 geschehen ist, als du mit deiner Tante Roxanne aus dem Macy’s zurückkamst?«
    Merell war auf diese Frage vorbereitet und antwortete so automatisch, dass Roxanne annahm, sie habe die Worte auswendig gelernt. »Wir gingen ins Haus, und ich hörte in der Garage ein Geräusch wie von einem Auto und ich dach te, jemand will einen von Daddys Oldtimern stehlen.«
    Jackson ließ sie detailliert beschreiben, wo und wie die Autos untergestellt und gewartet wurden.
    »Was hast du gesehen, als ihr die Garagentür geöffnet habt?«
    »Wir haben die Tür nicht geöffnet.«
    Jackson musterte sie mit milder Überraschung.
    »Meine Tante Roxanne hat sie allein aufgemacht.«
    »Nun gut, erzähl weiter.«
    Roxanne nahm an, dass Jackson keine Kinder hatte. Er versuchte, kinderfreundlich zu klingen, war darin allerdings nicht überzeugend.
    »In der Garage befanden sich fünf Autos, sagst du. Welches ist dir als Erstes aufgefallen?«
    »Der Camaro.«
    »Und jetzt erzähl der Jury, was du in dem Camaro gesehen hast.«
    Zum ersten Mal geriet Merells Selbstvertrauen ins Wanken. Sie blickte zum Richter hinauf.
    MacArthur sprach zu ihr wie ein gütiger Großvater. »Ich weiß, das ist für dich nicht leicht, junge Dame, aber du musst diese Frage beantworten. Das verlangt das Gesetz, und ich kann das Gesetz nicht ändern. Also, erzähl den Leuten, was du gesehen hast.«
    »Die Zwillinge waren auf dem Rücksitz.«
    »Dem Rücksitz wovon?«
    »Vom Auto. Dem Camaro.«
    »Was haben sie gemacht?«
    »Sie sahen aus, als würden sie schlafen.«
    »Und deine Mutter?«
    »Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.« Merell zog an ihrem Pony, als könnte sie ihn länger machen, um ihr Gesicht damit zu verdecken.
    »Ich glaube, du erinnerst dich sehr wohl, Merell«, sagte Jackson.
    »Einspruch, Euer Ehren, die Zeugin hat angegeben, sich nicht erinnern zu können.«
    »Abgelehnt.« Der Richter blickte zu Merell hinunter. »Versuch, Mr. Jacksons Frage zu beantworten, Merell. Antworte, so gut du kannst.«
    »Meine Mutter war auf dem Vordersitz und die Zwillinge waren hinten.«
    »War deine Mutter allein?«
    »Ich sagte doch, dass die Zwillinge da waren.«
    »Auf dem Vordersitz. Saß sie allein auf dem Vordersitz?«
    »Sie hatte meine Schwester Olivia im Arm.«
    »Und Olivia ist das Baby?«
    »Claire ist jetzt das Baby.«
    »Deine Mutter hielt das

Weitere Kostenlose Bücher