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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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gestohlen habe.«
    »Das Zweite?«
    Sie rutschte auf dem Stuhl zur Seite und griff in die Tasche des Pullovers, der über der Lehne hing. »Würden Sie ihm das hier geben, wenn Sie ihn sehen?«
    Sie streckte ihm die Hände hin, die einen Gegenstand umschlossen. Er sah die roten, geschwollenen Knöchel, die verkrümmten Finger, die Haut, in die sich die Mühsal von vielen Jahren eingegraben hatte. Er nahm entgegen, was sie ihm geben wollte, und war verblüfft, obwohl er gegen jede weitere Überraschung gefeit zu sein glaubte.
    »Ich war so wütend, als ich damals aus der Hütte lief. Er hatte etwas getan, was ich ihm nicht verzeihen konnte. Ich wollte ihm auch wehtun, aber ich wusste nicht, wie.« Sie strich mit einem krummen Finger über den Rücken des Vogels, den Finch in der Hand hielt. »Er hat seiner Mutter gehört. Er hat ihn behalten, obwohl seine Eltern ihn dermaßen zurückgewiesen haben. Er musste ihm etwas bedeuten, deshalb habe ich ihn mitgenommen. Ich hatte immer vor, ihn zurückzugeben, auch damals, als ich kein Wort mehr mit ihm reden wollte.«
    »Sie könnten ihn selbst zurückgeben.«
    Alice schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin wirklich ein Feigling, das war ernst gemeint.«
    Das Doughty-Figürchen lag warm in seinen Händen. Er betrachtete die detailgetreu ausgeführte Farbgebung und Anatomie. »Ich glaube, Thomas hatte nicht viel Erfahrung mit Zurückweisung, Alice. Eher mit Schmeichelei und Vergötterung. Aber außer Ihnen und seinen Eltern fällt mir niemand ein, der ihn freiwillig verlassen hätte. Er gibt den Menschen keine Gelegenheit dazu, verstehen Sie. Ihr Fortgehen muss eine einzigartige Erfahrung für ihn gewesen sein. So etwas wollte er nie wieder erleben. Wenn Sie sich fragen, warum er sich nicht mehr Mühe gegeben hat, Sie und Agnete zu finden – vielleicht hat er geglaubt, dass Sie nicht gefunden werden wollten. Zumindest nicht von ihm.« Finch holte ein Bündel Briefe aus seinem Aktenkoffer, die an Alice adressiert waren. Auf allen stand in Natalies Handschrift »Annahme verweigert«.
    Alice starrte stumm auf die Umschläge, machte aber keine Anstalten, sie in die Hand zu nehmen. »Natalie hatte auf der ganzen Linie Erfolg.«
    »Sie konnte ihn nicht daran hindern, an Sie zu denken. Sie sind in jedem seiner Werke enthalten, von dem Zeitpunkt an, an dem er von dem Baby erfahren hat, bis er zu malen aufhörte. Hätte ich Ihnen das lieber nicht sagen sollen?«
    »Sie meinen die Vögel.« Alice senkte den Blick auf die Hände und lächelte. »Davon wusste ich bisher nichts. Wenn ich mich nicht zufällig vor die Galerie gesetzt hätte, wüsste ich es wahrscheinlich immer noch nicht.« Sie bedeckte seine Hand vorsichtig mit ihrer. »Ich glaube nicht, dass diese Figuren für mich bestimmt waren, Professor Finch. Thomas ist mir in der Nacht, bevor ich Agnete gefunden habe, im Traum erschienen. Ich glaube, sie waren für sie gedacht.«
    »Ich würde Ihrer Tochter gerne helfen, Alice, wenn sie das zulässt. Ich habe immer noch Kontakte in New York, kenne ein paar Galeriebesitzer, und an Zeit mangelt es mir nicht. Ihre Arbeiten sind ganz außergewöhnlich.« Er wartete auf ein Zeichen der Zustimmung. Er wusste selbst nicht, ob er das Angebot machte, um Alice einen Gefallen zu tun oder weil er beim Betrachten der Skulpturen zum ersten Mal seit Jahren wieder eine Art prickelnden Energiestrom gespürt hatte. Aber das Angebot war ehrlich gemeint.
    »Sie hat sein Talent.«
    »Sie hat ihr eigenes Talent.«
    Nach einem kurzen Zögern stellte Finch die letzte Frage, die er in Baybers Auftrag zu stellen gedachte: »Haben Sie ihm vergeben?«
    Stephen und Agnete lieferten sich gerade ein übermütiges Wettrennen zur hinteren Tür. Wie jung sie aussehen, dachte Finch, mit ihren hochroten Wangen, den langen Armen und Beinen und den dunklen Haaren.
    »Wir haben Frieden geschlossen«, antwortete Alice.
    Die beiden jungen Leute erreichten gleichzeitig die Küchentür und schubsten sich gegenseitig in die Küche. La chend und prustend fielen sie auf die freien Stühle am Tisch und wedelten mit den Händen, um sie aufzuwärmen.
    »Alice …« Stephen langte über den Tisch und nahm sich einen Cracker. »Ist es okay, wenn ich Sie Alice nenne?« Er wartete nicht auf die Antwort. »Könnte ich vielleicht ein Foto von Ihnen und Agnete machen, wo Sie unter dem Ge mälde stehen? Ich will nicht zudringlich sein, aber ich habe nun mal meinem Auftraggeber versprochen, ihn auf dem Laufenden zu halten. Unabhängig davon,

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