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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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wie es weitergeht, würde ich ihn gerne wissen lassen, dass wir eine der fehlenden Tafeln gefunden haben.«
    Stephen sah, dass Alice und Finch einen Blick wechselten.
    »Das Bild gehört mir nicht, Mr. Jameson«, antwortete Alice. »Aber wenn Agnete nichts dagegen hat, können wir ein Foto machen.«
    »Nach dem Essen«, ergänzte Agnete in einem Ton, aus dem Stephen eine Warnung heraushörte. Wenn Sie irgendetwas von mir wollen, üben Sie keinen Druck auf sie aus .
    Auf Fragen, die nicht das Thema Kunst im Allgemeinen oder ihre Skulpturen im Besonderen betrafen, hatte Agnete im Garten sehr knapp geantwortet. Schließlich hatte Stephen aufgehört, ihr hinterherzulaufen, sich auf den kalten Rand einer kleinen schmiedeeisernen Bank gehockt und gewartet, bis sie merkte, dass ihr das Publikum abhandengekommen war.
    »Sind Sie müde? Oder langweile ich Sie mit meinem Gerede?«
    »Ich versuche zu verstehen, wie das für Sie sein muss. Zuerst taucht Ihre Mutter auf, die Sie nie gesehen haben, und erzählt, dass Ihre Tante gestorben ist. Ein paar Tage später behaupten zwei Fremde, sie wollten Ihre Arbeiten sehen, die übrigens sehr beeindruckend sind, was ich nicht sagen würde, wenn ich es nicht ehrlich meinte. Meine gute Meinung hätte vor ein paar Jahren noch etwas gegolten. Jetzt ist sie einfach nur meine gute Meinung, aber immerhin ist es eine Meinung, die auf Erfahrung und Wissen beruht, wenn das ein Trost ist. Was es, wie ich zugeben muss, nicht unbedingt ist.«
    »Stephen, Sie haben den Faden verloren. Ich verstehe jedenfalls kein Wort.«
    »Ich versuche, Ihnen zu erklären, dass mich Ihre Arbeiten wirklich interessieren. Nicht nur, weil ich etwas von Ihnen will.« Stephen deutete mit einer ausladenden Geste auf die Skulpturen. »Sie faszinieren mich.«
    Agnete stand neben einer ihrer größeren Arbeiten, einem Fischschwarm, und betastete ein kleines Metallteil, das etwas dunkler war als die anderen und nicht ganz so symmetrisch wie der Rest der Teile, die in kreisenden Aufwärtsbewegungen durch die Luft schwammen. Bei näherer Betrachtung sah Stephen, dass sie diesem Teil eine andere Gewichtung und Position im Raum gegeben hatte. Wenn der Wind wehte, bewegte es sich nicht in demselben Muster wie alle anderen, sondern zuckte und bebte auf eine Weise, die nahelegte, dass es angestrengt gegen den Strom schwamm, um die anderen einzuholen.
    »Ich bin dieser Fisch«, sagte Agnete. »Ich bin in diesem Haus aufgewachsen. Ich habe nie woanders gelebt und liebe diesen Ort. Aber alle in der Stadt wussten, dass Therese, die mich aufgezogen hat, nicht meine richtige Mutter war. Alle wussten, dass mein Vater, wer immer er war, nie auftauchte. Ich habe die Pubertät überstanden, indem ich mir sagte, dass mir das egal ist; ich sagte mir, durch mein Anderssein sei ich nicht weniger wert.« Sie strich sich mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht, und Stephen fiel die große Ähnlichkeit mit ihrem Vater auf. Er spürte Baybers Hand wie eine eiserne Handschelle am Gelenk. Wäre Agnetes Vater hier gewesen, hätte er wahrscheinlich jeden verjagt, der sich näher als zwei Meter an sie heranwagte.
    »Ich habe dieses Objekt gemacht, weil ich immer das Gefühl hatte, anders zu sein als alle anderen – was in Ord nung war –, und gleichzeitig Angst hatte, zurückgelassen zu werden. Können Sie das verstehen?«
    Ihre Erklärung fand einen Widerhall in ihm, auch wenn er das kaum so ausgedrückt hätte. Er starrte stirnrunzelnd zu Boden. »Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Vielleicht bin ich auch so ein Fisch.«
    »Dann sind wir schon zwei. Wir sind ein eigener Schwarm.«
    »Agnete, was hat Natalie Ihnen über Ihre Mutter erzählt? Über Alice, meine ich?«
    »Das ist eine ziemlich unsensible Frage.«
    Stephen biss sich auf die Lippe, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken.
    »Was ist so witzig?«
    »Nichts. Sie klingen nur genau wie Finch. Er sagt mir auch immer, wie unsensibel ich bin, also muss es wohl stimmen.«
    Agnete wandte das Gesicht zum Himmel und kniff die Augen zu. »Alice ist genauso, wie ich sie mir vorgestellt habe.«
    »In Ihren Träumen?«
    »Nach allem, was Natalie mir erzählt hat. Jedes Mal, wenn wir zusammen waren, hat sie über Alice gesprochen. Sie wollte, dass ich sie genauso gut kenne wie sie.« Agnete schüttelte den Kopf und riss die Augen auf, als hielte sie es für möglich, dass sich die Welt in diesen wenigen Sekunden vollständig verändert hatte. Sie hielt die Hand hoch und zählte an den Fingern

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